Patrick Bauermann ist Mathematiker und Leiter des Bereichs „Bundesweite Mathematik-Wettbewerbe“ bei Bildung & Begabung. Seit 2017 ist er dort für die namhaften Wettbewerbe Bundeswettbewerb Mathematik und die Mathematik-Olympiade zuständig. Patrick Bauermann begeistert Schüler*innen für das Fach Mathematik und trägt aktiv zur Begabtenförderung der Disziplin bei. Das Interview mit ihm führte Anna Maria Hengst aus dem DMV-Netzwerkbüro.

Bauermann BB SV 2076Patrick Bauermann. Foto: Bildung & Begabung / Nina Senger-Mertens.

 Was begeistert Sie an Mathematik, und wie sind Sie zur mathematischen Talentförderung gekommen?

Als ich in der 6. Klasse war, drückte mir mein Mathematik-Lehrer den Aufgabenzettel zur 1. Runde der Mathematik-Olympiade in die Hand, an der meine Schule erstmals teilnahm. Ich fand die Aufgaben so spannend, dass ich mich gleich in sie vertieft habe – mit Erfolg, denn ich konnte mich für die darauf folgenden Regional- und Landesrunden qualifizieren. In diesem Jahr und in den folgenden Jahren konnte ich über die Mathematik-Wettbewerbe viele Kontakte zu Gleichgesinnten knüpfen und eine Reihe persönlicher Förderer kennenlernen, die meine Faszination für Mathematik immer weiter gestärkt haben. Bis heute liebe ich es, abstrakte Strategien auf Fragestellungen der Mathematik und des Alltags anzuwenden, diese dabei immer weiter zu durchdringen und zu analysieren. Und bis heute bin ich jedes Mal fasziniert, wenn mit sehr viel Gedankenarbeit schließlich Ergebnisse entstehen, die in kurzer, prägnanter und logischer Weise einen Teil der Welt beschreiben und erklären.

Welche Vorteile haben Schüler*innen von der Teilnahme an einem bundesweiten Mathematik-Wettbewerb?

Da fallen mir spontan drei Aspekte ein. Zuerst ist da die Möglichkeit, Interesse an Mathematik auszuleben und zu vertiefen, indem man Neugier auf die hinter den Aufgaben stehenden Sachverhalte entwickelt. Angetrieben von dem Ehrgeiz, die Teilnahme möglichst erfolgreich zu gestalten, können die Jugendlichen unglaublich viel über Mathematik lernen. Zweitens, und das war für mich selbst besonders wichtig, ist es der Kontakt zu anderen, die sich für Mathematik interessieren. Diesen zu erhalten hat mich als Jugendlicher auch in solchen Jahren zur Teilnahme motiviert, in denen das Leben die eine oder andere Ablenkung bereitgehalten hat. Und schließlich erfahren die Jugendlichen besondere Anerkennung. Dies geschieht durch die Preise und die Preisverleihungen. Aber auch positives Feedback von Eltern, Angehörigen, Freundeskreisen, Lehrkräften, Schulen etc. ist Erfolg und von immenser Bedeutung.

Der Bundeswettbewerb Mathematik besteht aus mehreren Runden. Worum geht es in den ersten beiden Runden – und worauf müssen sich die Teilnehmenden im Kolloquium gefasst machen?

Die ersten beiden Runden sind Hausaufgabenrunden und dauern jeweils etwa drei Monate. Die Aufgaben sind nach Schwierigkeit gestaffelt, sodass auch jüngere Schülerinnen und Schüler schon ihre ersten Schritte im Wettbewerb machen können. Einige Aufgaben – spätestens ab der zweiten Runde - sind dann so herausfordernd, dass auch die Erfahrenen einige Tage darüber nachdenken sollten. Über allem steht die Freude an der Mathematik, die durch den Wettbewerbt geweckt und gestärkt werden soll.

In der abschließenden dritten Runde, dem Kolloquium, erleben die Qualifizierten noch einmal ein ganz anderes Format. Sie sprechen eine Stunde lang mit zwei Mitgliedern des Auswahlausschusses, einer Mathematik-Lehrkraft aus der Schule und einer Lehrperson aus der Hochschule. Nicht die Abfrage von Wissen, sondern die Fähigkeit, sich rasch und sicher in unbekannte Sachverhalte einzuarbeiten und Ideen für Lösungsstrategien zu entwickeln, steht hierbei im Vordergrund.

An welchen Stellen im Wettbewerbsprozess spielen Mathematiklehrkräfte eine besonders wichtige Rolle, und inwieweit können auch Lehrpersonen von dem Hausaufgabenwettbewerb profitieren?

Gerade für jüngere Schülerinnen und Schüler ist die Motivation durch ihre Lehrkräfte häufig sehr wichtig für eine Teilnahme. Anspornen, wie z. B. „Ich weiß, Du kannst das!“, und Anerkennen, wie „Ich sehe Deine Leistung.“ sind Aufgaben, die bei der Förderung besonders die unmittelbaren Kontaktpersonen, die persönlich bekannten Lehrkräfte, übernehmen. Aber auch für die Lehrkräfte selbst können die Aufgaben des Bundeswettbewerbs Mathematik eine Spielwiese sein, da sich mit in der Schule erlernten Methoden Einblicke in Gesetzmäßigkeiten ergeben, die nicht mehr schulüblicher Lerninhalt sind. Speziell für Lehrerinnen und Lehrer hat der Bundeswettbewerb Mathematik sogar ein eigenes Angebot kreiert. Nach dem Einsendeschluss jeder Runde, also zwei Mal pro Jahr, diskutieren wir im Livestream „Spotlight Mathe“ über Aufgaben, Lösungen, Schönheit, Eingliederung in den Schulkontext und vieles mehr.

 

sie die Welt beschreiben lässt und verständlich macht.

 

Neben dem Bundeswettbewerb Mathematik gibt es die Mathematik-Olympiade. Wie unterscheiden sich die beiden Wettbewerbe hauptsächlich voneinander?

Um den Unterschied zwischen beiden Wettbewerben zu erklären, vergleiche ich sie häufig mit Disziplinen im Sport. Beispielsweise können alpine Skirennen als Slalom oder als Abfahrt ausgetragen werden. Manchmal gewinnen dabei die gleichen Personen, manchmal stehen ganz andere auf dem Treppchen. Ähnlich verhält es sich mit den beiden Bundesweiten Mathematik-Wettbewerben. Die Mathematik-Olympiade ist ab der zweiten Runde ein Klausurwettbewerb, bei dem es vor allem auf eine ausgeprägte  Intuition für Lösungsstrategien und die Fähigkeit ankommt, diese in kurzer Zeit anzuwenden und auszuformulieren. Im Gegensatz zum Bundeswettbewerb Mathematik stehen die Teilnehmenden dabei in direkter Konkurrenz um die begrenzten Plätze der jeweils nächsten Runde. Die gemeinsamen Klausurerlebnisse bieten Gelegenheit zur Begegnung Gleichgesinnter auf Regional-, Landes- und Bundesebene.

Gibt es weiterführende Förderprogramme für Preisträger*innen, beispielsweise in Form von Kooperationen mit Hochschulen, Unternehmen oder Organisationen?

Ein Preis in der zweiten Runde des Bundeswettbewerbs Mathematik oder bei der Bundesrunde der Mathematik-Olympiade berechtigt bei gleichzeitiger Erfüllung der Teilnahmebedingungen in der Regel zur Teilnahme an einem weiteren Wettbewerb, dem Auswahlwettbewerb zur Internationalen Mathematik-Olympiade, an dessen Ende die Qualifikation zur sechsköpfigen deutschen Delegation stehen kann. Mit dem Bundessieg im Bundeswettbewerb Mathematik oder der Teilnahme an einer IMO wird man in die Förderung der Studienstiftung des deutschen Volkes aufgenommen. Außerdem werden erstmalige Bundessiegerinnen und Bundessieger zu einem vierwöchigen Studienaufenthalt am Max-Planck-Institut in Bonn eingeladen. Und im Rahmen des Kolloquiums werden auch gestiftete Preise wie Auslandsforschungsaufenthalte, bspw. am Weizmann-Institut in Rehovot, Israel, vergeben.

Sind Ihnen Beispiele für mathematische Erfolgsgeschichten oder herausstechende Karrieren ehemaliger Teilnehmender bekannt?

Wir sind sehr stolz auf unsere Alumni. Die beiden deutschen Fields-Medaillen-Preisträger, Gerd Faltings und Peter Scholze, und andere prominente Mathematikerinnen und Mathematiker wie Lisa Sauermann oder Günter M. Ziegler haben einige ihrer ersten Schritte in die Mathematik bei den Bundesweiten (und Internationalen) Mathematik-Wettbewerben absolviert.

Erfolg sollte aber nicht nur im Kontext von Auszeichnungen und Würdigungen gemessen werden. Aus meiner Sicht besteht der wesentliche Erfolg der Wettbewerbe darin, so viele junge Menschen auf unterschiedlichen Niveaustufen anzusprechen und mehr und mehr für Mathematik zu begeistern. Egoistischer Weise ist der mir persönlich wichtigste Erfolg der Wettbewerbe daher, dass sie mich erst auf die Idee gebracht haben, Mathematik zu studieren. Sie haben meinen Lebensweg nachhaltig geprägt, sodass ich heute in der glücklichen Lage bin, Beruf und Passion täglich vereinigen zu dürfen.

Was würden Sie Lehrkräften empfehlen, die mathematisch besonders begabte Schüler*innen fördern möchten?

Begeisterung vermittelt man am besten, wenn man selbst authentisch begeistert ist, und Mathematik ist unglaublich schön und ästhetisch. Auch in stressigen und unübersichtlichen Zeiten bemühe ich mich, mir Zeit für diese Schönheit zu nehmen und Mathematik weiter zu ergründen. Es ist eine bedeutende Aufgabe aller Mathematikerinnen und Mathematiker, ob Lehrkräfte, Hochschulbedienstete oder anders Tätige, dies in die Welt zu tragen, um mit der eigenen Lust die nächste Generation mit diesem Fieber zu infizieren.

Die Mathematik- und Englischlehrerin Martina Egbers (41) von der Integrierten Gesamtschule Flötenteich (IGS-Flötenteich) aus Oldenburg engagiert sich außergewöhnlich für mathematische inner- und außerschulische Projekte an ihrer Schule. Ohne ihre persönliche Initiative wäre die Förderung von „Mathe im Advent“ aller Schulen in Oldenburg nicht zustande gekommen – Dankeschön nochmal an dieser Stelle! Zudem setzt sich Martina Egbers für das selbstständige Lernen ein und arbeitet in ihrer Schule an der Schulentwicklung im Rahmen des Modellprojekts Zukunftsschule mit. Das Interview mit ihr führte Stephanie Schiemann, geschäftsführende Gesellschafterin von Mathe im Leben gGmbH und Ausrichterin von „Mathe im Advent“.

foto egbers mmMartina Egbers. Bildquelle: privat.

Auf Sie aufmerksam wurde ich durch Ihre Anfrage per E-Mail, weil Sie ganz allein bei der EWE Stiftung für alle Schulen in Oldenburg eine Förderung für „Mathe im Advent“ (MiA) beantragt haben. Wie kam es zu dieser Initiative und was haben Sie sich davon versprochen?

Ich bin überzeugt davon, dass „Mathe im Advent“ einen großen Beitrag dazu leisten kann, Spaß und Freude an der Mathematik zu entwickeln, andere Sichtweisen auf die Mathematik zu vermitteln und Problemlösekompetenzen zu schulen. Die Mathematik rückt im Dezember dadurch mehr in den Fokus – in der Schule, in der Familie und im Freundeskreis. All dies wünsche ich mir nicht nur für meine Klassen oder meine Schule, sondern für alle Kinder. Zumindest für die Stadt Oldenburg sah ich die Chance einen Förderer zu finden.

Die Förderung für „Mathe im Advent an Oldenburger Schulen“ wurde schlussendlich erst am 11.12. von der EWE Stiftung für 2024 genehmigt. Nächstes Jahr können Sie also voll durchstarten. Wie lief MiA dieses Jahr in Ihrer Schule bzw. in Oldenburg? Was planen Sie für 2024?

Wegen der Ungewissheit der Förderung hielten sich viele Kolleg*innen mit einer Klassenspielanmeldung zurück, so dass letztendlich nur zwei Klassen unserer Schule in dem Kalender 7-9 mitspielten. Von meinen eigenen Kindern weiß ich zudem, dass auch ihre Lehrkräfte Klassen anmelden würden, wenn es gefördert würde. Von daher hoffe ich, dass es 2024 deutlich höhere Anmeldezahlen für Oldenburg geben wird. Ich werde das Jahr nutzen, um möglichst viele Lehrkräfte – auch in anderen Schulen – zu erreichen, um sie für „Mathe im Advent“ und diese tolle Gelegenheit zu begeistern, die uns die EWE Stiftung nun ermöglicht.

Ihre Schule ist eine integrierte Gesamtschule, bei der alle Kinder bis einschließlich zum 8. Jahrgang in Mathematik gemeinsam unterrichtet werden. Jedes Kind kann in seinem eigenen Lerntempo und seinen individuellen Fähigkeiten entsprechend arbeiten. Wie funktioniert das an Ihrer Schule im Mathematikunterricht? Was tragen die Mathepläne dazu bei?

In den Matheplänen wird den Schüler*innen transparent gemacht, welche Kompetenzen sie in der Einheit lernen und welche Aufgaben jeweils passend zu den einzelnen Kompetenzen sind. Nach einer Wiederholungsphase, in der die Schüler*innen überprüfen, ob sie die für die kommende Einheit grundlegenden Kompetenzen beherrschen, starten wir mit einer gemeinsamen Aktivphase – meist in Gruppenarbeit und handlungsorientiert. Danach arbeiten die Schüler*innen selbstständig an dem Plan weiter, der Gruppen- und Partnerarbeiten sowie Einzelarbeit einschließt. Hierfür müssen sie auch ihre Leistungen selbst einschätzen. Kleine Zwischentests helfen, um sich selbst zu überprüfen. Ich stehe als Lernbegleiterin zur Verfügung und unterstütze bei Problemen. Zudem gibt es meist eine weitere Lehrkraft, die ebenfalls als Ansprechpartner*in zur Verfügung steht und den Lernprozess unterstützt. Aber auch untereinander helfen sich die Schüler*innen. Die Aufgaben in den Plänen sind differenziert und nutzen auch Spiele sowie handlungsorientiertes Material. Mit der Einführung der iPads sind auch unsere Pläne digital geworden und haben sich verändert. Wir können nun zusätzlich auch digitale Angebote, wie zum Beispiel Erklärvideos oder Onlineanwendungen, nutzen. Die Arbeit mit den Plänen ermöglicht es den Schüler*innen, dass jeder in seinem Tempo und auf seinem Leistungsniveau arbeiten kann.

 

sie uns überall umgibt!

 

Sie arbeiten auch an dem Projekt Zukunftsschule mit. Was hat es damit auf sich? Was ist das Ziel? Was plant Ihre Schule?

In dem Modellprojekt haben Schulen die Möglichkeit mit Unterstützung des Niedersächsischen Kultusministeriums und eines Netzwerks die Schulentwicklung an der eigenen Schule voranzutreiben, Dinge auszuprobieren und umzusetzen, um die Erlasse bezüglich der Bildung für nachhaltige Entwicklung, kurz BNE, und Stärkung der Demokratiebildung gut umsetzen zu können. Ich arbeite an meiner Schule in der AG Schulentwicklung daran, wie wir es schaffen können, den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen und die Schüler*innen gut darauf vorzubereiten. Unser Schulcurriculum ist daher auch so aufgebaut, dass Lehrplan- und BNE-Inhalte in großen Teilen fächerübergreifend angelegt sind. Wir werden Zeiten für das freie Lernen einrichten, in denen Schüler*innen die Option haben, selbst zu entscheiden, wann sie was lernen möchten und auch neben Lehrplaninhalten die Möglichkeit haben, eigene Projekte durchzuführen. Das selbstständige Lernen hat also einen sehr hohen Stellenwert. Dies heißt selbstverständlich nicht, dass nicht zusammengearbeitet und gelernt wird. Auch Gruppen- und Partnerarbeiten gehören dazu. Selbstreflektion, Selbsteinschätzung und Selbstorganisation sind wichtige Fähigkeiten, die so gelernt werden. Wichtig ist natürlich dabei auch, dass es eine gute Beratung für die Schüler*innen gibt. Wir Lehrkräfte verstehen uns als Lernberater*innen. Natürlich wird es auch angeleitete Zeiten geben, wie Sportunterricht oder Schulstunden, in denen Experimente stattfinden, die nur in dafür ausgestatteten naturwissenschaftlichen Räumen durchgeführt werden können.

Abschließend habe ich noch eine Frage zu Ihren persönlichen Erfahrungen Ihrer Ausbildung und mit angehenden Lehrkräften. Wie stellen Sie sich Lehrerausbildung in der ersten und zweiten Phase in der Zukunft vor?

Ich hatte das Glück an der Universität einen Dozenten zu haben, der selbst in dem Bereich „self-directed learning“ tätig war. Das hat mich und meine Rolle als Lehrperson sehr geprägt. Selbstständiges bzw. selbstgesteuertes Lernen und wie man dieses bei den Schüler*innen anbahnt, sollte einen größeren Stellenwert in der Ausbildung von Lehrkräften haben und damit einhergehend auch die Arbeit als Lernbegleitung mehr in den Vordergrund rücken. Dazu gehört auch, dass das Thema Beratung von Schüler*innen ebenfalls mehr Beachtung findet. Da an integrierten Gesamtschulen alle Lehrämter vertreten sind, wäre es wichtig, dass die Arbeit an der Gesamtschule ebenfalls ein größeres Thema in der Ausbildung wird. Ich wünsche mir außerdem eine noch bessere Kooperation zwischen Schule und Universität. Hiervon würden beide Seiten profitieren. Wenn zum Beispiel regelmäßig Studierende in Phasen selbstständigen Lernens anwesend wären, um Schüler*innen zu unterstützen, führt dies zu einer noch besseren Betreuung der Schüler*innen und die Studierenden könnten in dieser Zeit schon erfahren, wie selbstständiges Lernen, Lernbegleitung und Beratung in der Praxis an den Schulen aussehen kann.

Karlheinz Schüffler (geb. 1947) ist nicht nur ein vielseitig begabter Mathematiker, sondern auch ein engagierter Chorleiter und passionierter Organist. Sein Forschungsinteresse gilt der Analysis, der Funktionentheorie, der Minimalflächentheorie mit ihrer Globalanalysis und den Differenzialgleichungen. Der inzwischen emeritierte Professor für Mathematik und Physik (Hochschule Niederrhein, Krefeld), der jedoch seit seiner Habilitation an der HHU Düsseldorf lehrt, hat auch die Mathematik der Musik für sich entdeckt und hierüber einige Bücher geschrieben – wie z.B. das historisch orientierte Buch „Proportionen und ihre Musik“ oder das jüngst erschienene Opus „Die Tonleiter und ihre Mathematik“.

schueffler 1schueffler 2schueffler 3jpgKarlheinz Schüffler an der Orgel. Fotos: Daniel Mietchen.

Regelmäßig spielt er Orgel, auch auf Veranstaltungen der DMV, wie zum Beispiel auf den DMV-Jahrestagungen 2008 (Erlangen), 2014 (Poznan), 2019 (Karlsruhe) und 2023 (Ilmenau). Musikalische Schwerpunkte sieht er in der französisch-deutschen Spätromantik, weshalb er sich vor allem für entsprechende große historische Instrumente begeistern kann, etwa solche aus der Manufaktur Walcker – wie „seine“ Orgel in Krefeld am Niederrhein oder – wie jetzt – die große Orgel der St. Jakobus-Kirche im thüringischen Ilmenau. Hier unsere Fragen an ihn:

Wie haben Sie als junger Mensch den Weg in die Mathematik und wie zu Musik gefunden?

Zunächst war da die Musik: Nachdem ich in frühen Kinderjahren erst das Akkordeon und dann das Klavier kennenlernte, hatte ich in einem gymnasialen Internat (Lebach) die Chance, Orgelunterricht zu erhalten. Und mit 17 Jahren übernahm ich dann an den Wochenenden – aufgrund einer Vakanz – sowohl den Orgeldienst als auch die Chorleitung in meiner Heimatgemeinde (Perl), etwa 10 Jahre lang. Während mich vor allem die kirchenmusikalische Chorleitung bis heute durchgehend begleitete, hat sich die konzertante Orgelmusik als musikalischer Schwerpunkt erst in den letzten 20, 25 Jahren hinzugesellt.

Den Weg in die Mathematik verdanke ich vor allem meinem Enthusiasmus für alle möglichen geometrisch-analytischen Rechenspielchen rund um die Geraden, Kreise, Dreiecke und Parabeln der damaligen gymnasialen Jugendzeit-Mathematik – ohne zu ahnen, was dann an der Uni wirklich auf mich zukäme und auch kam. So war ich zwar kein „Einser-Starter“, sondern ich entdeckte und eroberte mir die Mathematik peu à peu. Die Faszination wuchs, je mehr ich die Kraft ihrer Theorien erfahren, studieren und anwenden konnte.

Standen Sie jemals vor der Frage, sich für eines der beiden Fächer entscheiden zu müssen?

Ja, die Frage stellte sich in der Tat. Weil ich aber zu Abitur- und Bundeswehrzeiten ohnehin intensiv Kirchenmusik betreiben konnte und sollte, war der Wunsch, meiner zweiten schulischen Begabung universitär und später beruflich vielleicht als Lehrer zu folgen und damit für mich wirklich Neues zu erfahren, deutlich stärker, als die - oft als virtuosen Drill empfundene –Stringenz der damals üblichen musikalischen Ausbildung ertragen zu müssen – so die Meinung seinerzeit. Die Entscheidung für die Mathematik habe ich niemals bereut – sie hat sich als die für mich allerbeste gezeigt.

Wie haben sich Ihre Passionen für Mathematik und Musik im Laufe der Zeit entwickelt?

Positiv, sehr positiv. Das eine hat dem anderen nicht geschadet – selbst wenn beide Dinge manchmal meine ganze Kraft und Hingebung in dichtem Hin und Her verlangten, wie zum Beispiel im Sommer 1985: Freitag und Folgedienstag Habilitationsvorträge an der HHU in Düsseldorf – am Sonntag dazwischen aber ein großes Abendkonzert meines damaligen Konzertchores im entfernten Saarland – muss ich hierzu mehr sagen? Nein, im Gegenteil, ich sehe beide Dinge nach dem Vorbild der „Septem Artes Liberales“ exzellent durch ein kulturwissenschaftliches Band verbunden. Das äußerst sich – auf den Punkt gebracht - darin, dass die Mathematik als die „Wissenschaft des Verstehens“ der Musiktheorie in ungeahnt profunder Weise dienen kann wie umgekehrt die praktische Musik uns mahnend lehrt, dass ohne die Tugend des Übens die schönste Theorie ihrer Anwendung verloren geht – oder nicht?

 

sie ein Juwel menschlicher Kultur- und Geisteswissenschaften ist!

 

Bitte geben Sie uns ein oder zwei konkrete Beispiele dafür, wo Mathematik und Musik eine spannende Allianz eingehen.

Hier sehen die, welche sich mit dieser spannenden Verbindung befassen, die Dinge aus verschiedenen Perspektiven. Für mich jedoch ist die älteste Verbindung diejenige der Architektur der Skalen, ihrer Bausteine und Intervalle – aus denen ja die Charakteristik ihrer Melodien und Harmonien entsteht. Wie baut man Tonsysteme, also Tonleitern, unter gegebenen musikalischen, ästhetischen oder anderen Rahmenbedingungen „harmonisch sinnvoll“ auf? Man nennt das vornehm die „Temperierungstheorie“, und diese ist in der Tat eine wunderschöne und segensreiche Spielwiese mathematischer Ideen und Methoden – etwa solcher der ganzzahligen Algebra wie auch der Analysis und ihren diskreten dynamischen Systemen.

Inwiefern ist die Orgel von besonderem mathematischen Interesse? Bitte nennen Sie ein oder zwei kurze Beispiele.

Eindeutig ist es hier diese Temperierungstheorie, welche die Orgel mit der Mathematik verbindet. Im Bachzeitalter gab es ebenso viele Orgelstimmungen wie Biersorten. Was ist Mitteltönigkeit? – Was bedeuten „Reine Stimmung“ und „Konsonanz“? usw. Ein zweiter riesiger Komplex ist natürlich die angewandte Akustik der Orgelpfeifenphysik, was uns im Nu zu beliebig komplizierten Differentialgleichungen führt.

Wie handhaben Sie es nun im Ruhestand? Mehr Mathematik oder mehr Musik?

Schwer zu sagen: Durchgehend vielleicht zwar mehr Musik (Orgel, Gregorianik), meine Vorlesungen am mathematischen Institut der HHU verhindern aber bis dato (toi toi) ein Rentner-feeling. Außerdem haben meine beiden letzten Bücher zum Thema „Mathematik und Musik“ immer wieder den Mathematiker in mir verlangt. Und Vorträge hierüber tun ihr Übriges…

Seit 2003 ist Stefanie Schlunk Geschäftsführerin von Science on Stage Deutschland e. V. und seit 2012 Vorsitzende der Dachorganisation Science on Stage Europe. Sie setzt sich dafür ein, MINT-Lehrkräfte in Deutschland gezielt zu fördern und bietet ihnen mit Science on Stage eine Plattform, um sich zu vernetzen und über Unterrichtskonzepte auszutauschen. Außerdem organisiert sie die Science on Stage Festivals, Lehrkräftefortbildungen und virtuelle Treffen und ist daneben für die Entwicklung mehrsprachiger Unterrichtsmaterialien zu aktuellen Bildungsthemen verantwortlich. Stefanie Schlunk wurde von Anna Maria Hengst (DMV-Netzwerkbüro) interviewt.

stefanie-schlunk.jpegStefanie Schlunk. Foto: Studio Monbijou, Berlin.

Wie sind Sie zu Science on Stage gekommen, und was ist Ihre persönliche Motivation, sich für MINT-Unterricht und -Bildung zu engagieren?

Mein Vater war ein sehr engagierter Mathelehrer, und ich habe durch ihn früh gemerkt, welche wichtige Rolle Lehrkräfte spielen, wenn es darum geht, Kinder für Themen zu begeistern. Auch bei mir war mein Lehrer für die Wahl des Studiums der Politikwissenschaften ausschlaggebend. Das Bildungsthema lag mir immer schon am Herzen, da eine gute Bildung die Grundlage für alles Weitere im Leben schafft. Deshalb sammelte ich als Praktikantin bei einer MINT-Initiative Erfahrung. Im Jahr 2003 wurde der Verein Science on Stage Deutschland gegründet und ich angefragt, ob ich die Geschäftsführung übernehmen möchte. Was mich nach wie vor persönlich motiviert ist das Wissen, dass wir bei Science on Stage konkret an der Basis – bei den Lehrkräften – einen Teil dazu beizutragen, diese zu motivieren und ihre Arbeit wertzuschätzen. Der Beruf der Lehrkräfte zählt in meinen Augen zu den gesellschaftlich relevantesten Berufen.

Was genau passiert bei Science on Stage, und welche Ziele hat der Verein?

Science on Stage ist das größte europäische Netzwerk von MINT-Lehrkräften für MINT-Lehrkräfte. Wir sind als gemeinnützige Initiative in über 30 Ländern aktiv und bieten Pädagog*innen aller Schulformen eine Bühne, um sich über innovative Unterrichtsideen auszutauschen und voneinander zu lernen. Unser Ziel ist es, den persönlichen Austausch zwischen Lehrkräften in ganz Europa mit Bildungsfestivals, Fortbildungsangeboten und der Entwicklung von Unterrichtsmaterialien zu fördern und so den MINT-Unterricht zu verbessern. Wir verstehen uns als Graswurzelbewegung: Es gibt zahlreiche engagierte MINT-Pädagog*innen, die sich Tag für Tag mit kreativen Ideen dafür einsetzen, ihre Schüler*innen für MINT zu begeistern! Diese Lehrkräfte sind 'Leuchttürme' in unserer Bildungslandschaft. Wir unterstützen sie darin, sich weiter zu engagieren, andere Kolleg*innen mit ihrem Enthusiasmus anzustecken und damit zu zeigen, was alles im Klassenzimmer möglich ist. Bei dem aktuellen Mangel an Lehrkräften ist dies wichtiger denn je!

Vom 29. September bis zum 1. Oktober findet das Nationale Science on Stage Festival 2023 statt – was erwartet die Teilnehmenden dort, und was ist das Besondere an dem Event?

Das Besondere an unserem Festival ist der Ansatz „von Lehrkräften für Lehrkräfte“ und die Tatsache, dass diese aus ganz Deutschland kommen. Sie haben sich für die Teilnahme mit ihren Unterrichtsprojekten zu Themen wie „Digitaler Unterricht“ oder „Nachhaltigkeit im MINT-Unterricht“ beworben. Beim Festival stellen sie an Ständen ihre Ideen vor – eine Art „Jugend forscht“ für Lehrkräfte. Die Atmosphäre ist einzigartig und man merkt, dass diese Lehrkräfte andere für ihr Fach begeistern können. Darüber hinaus gibt es praktische Workshops, Kurzvorträge sowie ein Rahmenprogramm, damit genügend Zeit bleibt, sich zu vernetzen und somit die Basis für längerfristige Kooperationen zu legen. Zudem werden beim Nationalen Festival die Lehrkräfte ausgewählt, die Deutschland beim Europäischen Science on Stage Festival 2024 in Finnland vertreten – hieran nehmen 450 Lehrkräfte aus über 30 Ländern teil.

Gibt es weitere Veranstaltungsformate bei Science on Stage, auf die Sie aufmerksam machen möchten?

Bei uns ist jede Lehrkraft willkommen! Neben den Festivals können sich Lehrkräfte mit originellen Ideen für die Teilnahme an unseren MINT-Wettbewerben bewerben. Zudem bieten wir Webinare und Lehrerfortbildungen an. Beispielsweise im Herbst 2024 zum Thema „Berufsorientierung“. Dann haben wir regionale und virtuelle Stammtische und über Science on Stage Europe ein Austauschprogramm für Lehrkräfte im Angebot. Wenn sie eine*n internationale*n Kolleg*in bei Science on Stage kennengelernt haben, mit der/dem man weiter zusammenarbeiten möchte, kann man sich bei uns um einen Zuschuss für Reise und Unterkunft bewerben. Darüber hinaus laden wir Lehrkräfte ein, sich bei der Entwicklung neuer Unterrichtsmaterialien einzubringen. Derzeit zu den Themen 'KI im MINT-Unterricht' und 'Quantencomputing'. Ich empfehle interessierten Lehrkräften, unseren Newsletter zu abonnieren und Mitglied zu werden.

 

wir sie zur Beantwortung von alltäglichen Fragen bis hin zur Lösung von komplexen Sachverhalten brauchen.

 

Auf den Internetseiten von Science on Stage stehen zahlreiche Unterrichtsmaterialien zum Download zur Verfügung. Können Sie uns erzählen, wie diese entwickelt werden?

Die Science on Stage-Unterrichtsmaterialien werden von Lehrkräften gemeinsam in Teams entwickelt. Oft ist die Zusammensetzung international, um unterschiedliche methodische Ansätze einzubeziehen. Bei unseren größeren Projekten wie dem Thema der UN-Ziele für eine nachhaltige Entwicklung im MINT-Unterricht oder Quantencomputing müssen sich Lehrkräfte für die Teilnahme bewerben. Ein Koordinator*innenteam wählt 20 Lehrkräfte aus. Diese arbeiten rund zwei Jahre zusammen, um die Materialien zu entwickeln und sie in der Praxis zu testen. Das alles machen sie ehrenamtlich neben ihrer Tätigkeit im Klassenzimmer! Unsere Geschäftsstelle bereitet im Anschluss die Ergebnisse auf und stellt sie auf unserer Homepage ein. Darüber hinaus veröffentlichen wir auch Festivalprojekte auf der Homepage und in unserem Youtube-Kanal. An dieser Stelle möchte ich unseren Förderern danken, die unsere Arbeit ermöglichen: unserem Hauptförderer, dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall, sowie Amazon Future Engineer, SAP SE, der Wilhelm und Else Heraeus-Stiftung und vielen weiteren.

Wie haben Mathematiklehrkräfte die Möglichkeit, sich bei Science on Stage einzubringen und von den Angeboten Ihrer Organisation zu profitieren?

Am besten besuchen Mathematiklehrkräfte unsere Homepage unter www.science-on-stage.de/unterrichtsmaterialien. Hier finden sie kostenfreie Unterrichtsideen, wie z. B. Elfmeter – Anwendung der Spieltheorie und Wahrscheinlichkeitsrechnung im Fußball oder Glück im Spiel – Die Statistik hinter Sportwetten oder auch Understanding geometry in a playful way - Learning by doing in mathematics. Darüber hinaus können sich Mathematiklehrkräfte für die Teilnahme bei an unseren oben genannten aktuellen Ausschreibungen bewerben, das Science on Stage Festival am 30. September 2023 an der Universität in Bayreuth als Gast besuchen (Anmeldung), und natürlich auch Mitglied bei uns werden, um so mit eigenen Ideen den Matheunterricht zu optimieren.

Welche Ratschläge würden Sie Mathematiklehrkräften geben, die ihre eigenen innovativen Ansätze im Unterricht umsetzen möchten?

Seien Sie mutig und probieren Sie Ihre innovativen Ansätze aus. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg und Spielraum im Curriculum, um diese im Unterricht zu integrieren.

 

 

Bernhard Werner ist Mathematiker, Programmierer und Postdoc-Researcher an der Technischen Universität München (TUM). Er ist maßgeblich an zwei großen Didaktik-Projekten beteiligt: an ALICE:Bruchrechnen, einem interaktiven digitalen Mathematik-Schulbuch zur Einführung der Bruchrechnung in der 6. Klasse, und an Toolbox Lehrerbildung, einer multidisziplinären interaktiven Lernplattform und Materialsammlung für Lehramtsstudierende. Bernhard Werner ist dort für einen Großteil der interaktiven Materialien verantwortlich und wurde so nach und nach zu einem Experten für interaktive mathematische Lehr-Lern-Materialen.

Seit 2022 setzt er sich für ein noch breiteres Publikum ein, indem er sehr aufwändig produzierte und didaktisch hochwertige Mathematik-Erklärvideos auf seinem YouTube-Channel Sum and Product veröffentlicht. Im Juni 2023 zählt Bernhard Werners erstes Video zur perspektivischen Konstruktion von Tic-Tac-Toe-Feldern bereits mehr als 37.000 Aufrufe und sein Kanal fast 1.500 Abonnent*innen. Das Interview mit dem engagierten Mathematiker führte Anna Maria Hengst vom DMV-Netzwerkbüro.

bernhard werner querformat farbBernhard Werner. Foto: Heidi-Foto, München.

Bitte erzählen Sie uns zunächst, was Ihr Interesse an der Mathematik geweckt hat: Gab es ein spezielles Ereignis, das Ihre Begeisterung entfacht hat, oder wussten Sie schon immer, dass Ihr Fach die Mathematik sein würde?

Ich hatte in der Schule schon immer mehr Spaß an Mathematik als an den anderen Fächern. Und auf halbem Weg durchs Gymnasium wusste ich, dass ich einmal Mathematik studieren würde, auch wenn ich natürlich keine Ahnung hatte, was das bedeutet. Wegweisend war dann ein Gespräch mit meinem Vater kurz vor dem Abitur: Eigentlich wollte ich Lehrer werden, war mir aber unsicher. Er meinte, ich solle in dem Fall erst “normal” Mathematik studieren, da so ein Wechsel vermutlich leichter ist, als umgekehrt. Ein großer Wendepunkt war dann viele Jahre später meine erste Promotion, die ich abbrechen musste. Im Anschluss habe ich mir zum ersten Mal so richtig Gedanken darüber gemacht, was ich eigentlich gut kann und was mir liegt. Statt wie zuvor mich einfach auf etwas zu stürzen, nur weil es mir Spaß macht. Dadurch ging es dann letztendlich wieder mehr in die Richtung Lehrer.

Sie sind maßgeblich an den Projekten Alice:Bruchrechnen und Toolbox Lehrerbildung beteiligt. Worum geht es in diesen Projekten?

In ALICE:Bruchrechnen haben wir ein interaktives Schulbuch zum Bruchrechnen für die sechste Klasse entwickelt. Die Motivation dazu war erstens, dass viele Schüler’innen mit dem Bruchrechnen große Probleme haben, diese aber für den Rest der Schullaufbahn und danach extremst wichtig ist. Zweitens waren wir davon überzeugt, dass es effektiver ist, Bruchrechenkonzepte vornehmlich mit geometrischen Anschauungen statt mit abstrakten Rechenregeln zu vermitteln. Paradebeispiel dafür ist das Erweitern und Kürzen: Die Merkregel “oben und unten dasselbe machen” führt schnell zu Fehlern. Bei uns läuft es über das Verfeinern und Vergröbern eines entsprechenden Diagramms, wodurch klarer wird, was genau hier passiert. Und zumindest unseren Begleitstudien nach war dieser Ansatz sehr erfolgreich.

Und bei Toolbox Lehrerbildung?

In der Toolbox Lehrerbildung bereiten wir Inhalte für Lehramtsstudierende auf. Sie müssen in ihrem Studium Veranstaltungen zu erziehungswissenschaftlichen, fachdidaktischen und rein fachlichen Themen besuchen. Diese drei Bereiche sind allerdings in den seltensten Fällen untereinander abgesprochen. Um zu vermitteln, wie die Themen dann im Schulunterricht zusammenspielen, nutzen wir gescriptete, selbst produzierte Unterrichtsvideos, die eben genau das zeigen. So beschäftigt sich z. B. eins der Videos mit einer Unterrichtsstunde zum Satz des Pythagoras (Fachwissenschaft), in der es auch um allgemeinere Beweistechniken (Fachdidaktik) geht, und das Feedback-Geben der Lehrkraft (Erziehungswissenschaft) thematisiert wird. Diese Themen werden dann auf unserer Plattform auch ausführlich erklärt.

Welche Art von Inhalten kreieren Sie für Ihren YouTube-Channel Sum and Product, und mit welchem Ziel betreiben Sie ihn?

Ich möchte auf meinem Kanal Teile der Mathematik darstellen, die ich auf ähnlichen Kanälen noch nicht (oft) gesehen habe. Dabei versuche ich, selbst wenn es um abstrakte Aussagen geht, so oft wie möglich zu konkreten Beispielen, geometrischen Konstruktionen oder vereinfachten Visualisierungen zurückzukommen. Das trägt, in meinen Augen, am meisten zum Verständnis bei. Für die konkrete Auswahl arbeite ich mich jetzt zu Anfang durch Themen meiner Lehre oder meiner Doktorarbeit, bei denen ich wenig zusätzlich recherchieren muss.
Für mich persönlich möchte ich mit dem Kanal erreichen, zu lernen, komplexe mathematische Themen allgemein verständlich erklären zu können. Außerdem versuche ich, durch das Erstellen der Animationen zu einem besseren Programmierer zu werden. Für meine Zuschauer’innen erhoffe ich mir, dass ich sie auf unbekannte Themen oder neue Sichtweisen bereits bekannter Themen aufmerksam machen kann.

 

wir durch sie die Welt verstehen können.

 

Worin sehen Sie die Vorteile interaktiver digitaler Materialien in der universitären wie auch außeruniversitären Lehre?

Digitale Materialien haben erst einmal völlig unabhängig vom Thema praktische Vorteile. Sie nehmen keinen Platz weg, müssen nicht auf- und abgebaut werden, können von Lernenden auch zu Hause genutzt werden, und geht es um Aufgaben, können unendlich viele generiert werden, die sich evtl. auch noch im Schwierigkeitsgrad den Nutzer*innen anpassen. Als konkreteres Beispiel: Beim Lernen des Bruchrechnens gibt es virtuell etwa die Möglichkeit, eine Pizza beliebig oft unterschiedlich zerteilen zu können. Auf Papier müsste man unzählige Kreisdiagramme zeichnen. Weiterhin gibt es auch Dinge, die überhaupt nur virtuell sinnvoll bzw. in vollem Umfang darstellbar sind – oft bei Simulationen und Algorithmen. Ist eine digitale Visualisierung eine 1-zu-1-Kopie eines physischen Exponats, würde ich aber in den allermeisten Fällen versuchen, das ‚echte‘ zu verwenden.

Ihre Arbeit hängt zu weiten Teilen mit Programmieren und Softwareentwicklung zusammen. Welche sind Ihre Lieblings-Tools, die Sie gern nutzen oder selbst entwickelt haben?

Seit Jahren arbeite ich mit Cinderella, bzw. der web-basierten Variante CindyJS. Eigentlich ist es ein Programm für dynamische Geometrie. Aber gerade der mathematische Unterbau ist mit so viel Sorgfalt und Liebe zum Detail entwickelt, dass damit leicht jede Art von interaktiver Visualisierung umgesetzt werden kann – insbesondere für MINT-Themen, aber auch darüber hinaus. Am Ende des Tages hat CindyJS natürlich seine eigenen Macken und eine lange Liste von Vor- und Nachteilen wie jede andere Programmierumgebung bzw. -sprache auch. Aber es ist unglaublich leicht zu erlernen und erlaubt es, einfach schnell etwas Funktionsfähiges zu programmieren. Über die Jahre habe ich eine große Codebibliothek für CindyJS entwickelt, um die Entwicklung meiner Visualisierungen zu beschleunigen. Die würde ich gerne einmal aufräumen, sauber dokumentieren und anderen sinnvoll zur Verfügung stellen...

Sie wurden von Studierenden mehrfach für Ihre exzellente Lehre ausgezeichnet. Was ist Ihnen wichtig bei Ihrer Tätigkeit als Dozent, und was ist das Besondere an Ihrer Lehre?

Ich habe bestimmt ein paar Eigenarten, wie ich unterrichte, die hoffentlich gut ankommen. Z. B. wiederhole ich oft und gerne, wie Themen einer Veranstaltung zusammenhängen. Und ich versuche stets zu vermitteln, wie wichtig das Fehler Machen für den Lernprozess ist. Der Hauptgrund aber, warum meine Lehre erfolgreich war, ist, dass ich viele Jahre lang mit Jürgen Richter-Gebert in seinen Kursen zur Projektiven Geometrie zusammenarbeiten konnte. Er ist als Dozent ein großartiges Vorbild und wir haben, meiner Ansicht nach, eine gute Mischung aus ähnlichen und unterschiedlichen Meinungen zur Lehre. Der größte Vorteil dabei ist jedoch, dass ich mich nicht immer wieder in neuen Stoff und neue Vorlesungskonzepte einarbeiten musste. So konnte ich beobachten, welche Fehler und Fehlvorstellungen bei den Studierenden besonders oft auftreten und mich auf die didaktische Aufbereitung der Inhalte konzentrieren.

Die Verquickung von Mathematik mit der digital-interaktiven Form, dem Programmieren und der Lehre zieht sich durch Ihre berufliche Laufbahn. Haben Sie schon Pläne, ob und wie Sie die Verbindung dieser Bereiche künftig weiterverfolgen möchten?

Auf jeden Fall! Ganz konkret werde ich ab kommenden Oktober an der Fakultät für Informatik und Mathematik der Hochschule München als Referent für Learning Technologies anfangen. Aufgabe ist es, die Lehre fakultätsweit zu unterstützen, indem ich digitale Werkzeuge entwickle und betreue.
Überdies werde ich definitiv auch mit meinem YouTube-Kanal langsam aber stetig weitermachen und auch versuchen, mich als Wissenschaftskommunikator in dem Dreieck Mathematik-Programmieren-Unterrichten weiter zu profilieren. Wie genau das aussieht, ist mir aber noch nicht klar.