Martin SchlatherMartin Schlather, Foto: Emilie OrglerMartin Schlather ist unser Mathemacher der Monate Mai und Juni. Der Mathematik-Professor hat an der Universität Mannheim den Lehrstuhl für Angewandte Stochastik inne und hat für sein Engagement in der Lehre den diesjährigen Ars Legendi-Fakultätenpreis bekommen. Hier befragen wir den Stochastiker dazu, wie er zur Mathematik kam, warum Mathematik auch für die Wirtschaftswissenschaften wichtig ist und was für ihn gute Lehre ausmacht. Das Gespräch führte Thomas Vogt.

sie interdisziplinär ist.

Lieber Herr Schlather, zunächst würde mich interessieren, wie Sie ursprünglich zur Mathematik gefunden haben.

Bis heute erinnere ich mich an die anschauliche Art, wie mein Vater mir in jungen Jahren das Bruchrechnen beigebracht hat. Die gezielte Förderung meines Interesses an der Mathematik verdanke ich aber meinem Mathematiklehrer Manfred Pohl in der Oberstufe. Ansonsten gab es mehrere Weichen in meinem Leben, wo auch mal der Zufall für die Mathematik entschieden hat.

Aus welchen Gründen würden Sie einem jungen Menschen heute raten ein Studium der Mathematik zu beginnen?

Viele Abiturientinnen und Abiturienten wissen nicht, was sie studieren sollen. Sofern eine gewisse Begabung in der Mathematik vorhanden ist, rate ich, Mathematik zu wählen. Denn je nach Standort kann man sich im Rahmen des Nebenfachs in den verschiedensten Fächern umschauen. Bleibt man bei der Mathematik, sind insbesondere die Aussichten am Arbeitsmarkt bestens. Tut man es nicht, genießt man bereits nach einem Jahr Studium den Vorteil des lebenslang präzisen Denkens. Kurzum, mit Mathematik anzufangen, ist immer lohnend.

Wo genau spielt die Mathematik in den Wirtschaftswissenschaften eine wichtige Rolle?

Ich nehme an, Ihre Frage rührt daher, dass die Universität Mannheim wirtschaftswissenschaftlich ausgerichtet ist. Wir nehmen die Ausbildung unserer Studierenden ernst und bieten spezielle Vorlesungen von wirtschaftswissenschaftlichem Interesse an, auch ohne dass diese mit dem eigenen Forschungsgebiet gekoppelt sind. Einer meiner Forschungsschwerpunkte sind zum Beispiel mathematische Fragestellungen, die unmittelbar aus der Praxis der Tier- und Pflanzenzucht stammen.

Sie bekommen den Ars Legendi- Preis unter anderem für Ihr(e) Service Learning-Projekt(e). Was ist darunter zu verstehen?

Ein Studium ist für den Staat teuer, denn Universitäten werden überwiegend aus öffentlichen Mittel finanziert. Die Idee ist, dass Studierende eine gewisse Gegenleistung für die Gesellschaft erbringen. Bei Service Learning soll insbesondere frisch Erlerntes in der Praxis angewandt werden. Ein verständliches Beispiel aus einem anderen Bereich ist der angehende Rechtsanwalt, der einen Mittellosen kostenfrei berät. Das Konzept eignet sich aber auch für angehende Mathematikerinnen und Mathematiker. Beispiele sind die Erstellung freier Software oder die Analyse von Daten für die eigene Universität. In mehreren meiner Service Learning-Projekte können die Studierenden auch ECTS-Punkte erwerben.

Das universitätsweite Projekt HAREBE (Handlungswissen, Reflexion und Berufsorientierung) haben die Juroren auch gelobt. Was hat es damit auf sich und an wen richtet sich HAREBE?

In HAREBE wurden in verschiedenen Fächern Service-Learning-Ansätze aufgegriffen und weiterentwickelt. Im Rahmen von HAREBE geben die Studierenden der Mathematik (inklusive des Lehramts und der Wirtschaftspädagogik) Zusatzangebote der Begabten- und Breitenförderung für viele Schulen der Region ("Handlungswissen", "Berufsorientierung"). In einem begleitenden Wahlpflichtseminar werden sowohl inhaltliche Themen, als auch Erfahrungen besprochen ("Reflexion"). Während mein Schulprojekt in der ersten Förderphase eher ein Satellit von HAREBE war, ist dieses Service-Learning Projekt in der zweiten Förderphase in gewisser Weise zentral.

Und worum geht es bei der studentischen Initiative STADS (Student's Association for Data Analytics and Statistics), die Sie ins Leben gerufen haben?

Ausgangssituation war, dass es an der Universität Mannheim von Seiten der Mathematik keine statistische Beratung gab und dass der Wunsch der Studierenden nach einem Spektrum praxisnaher Kurse aus Kapazitätsgründen nicht erfüllt werden konnte. Andererseits gab es an der Universität Mannheim bereits einen aktiven studentischen Verein, der Firmen qualitativ berät. STADS ergänzt nun im quantitativen Bereich das Spektrum der berufsbildenden Vereine der Universität Mannheim. Das Tätigkeitsfeld von STADS reicht von Programmierkursen für alle Studierende der Universität über Projekte mit gemeinnützigen Organisationen, bis hin zur Kontaktpflege zu Firmen. Wir Professoren aus der Stochastik stehen dabei beratend zur Seite.

SchildersGüntherEhrhardtFotoFriederikevonHeydenMathematik ist überall und umgibt uns in den meisten Situationen unseres Alltags wie ein omnipräsenter Begleiter. Genau wie Sprache, ist die Mathematik dadurch zu einer Selbstverständlichkeit geworden, sodass wir sie im Alltag oft nicht mehr erkennen. 

Mit Hilfe ihres Buches „Erfolgsformeln“ wollen die Herausgeber Matthias Ehrhardt, Michael Günther und Wil Schilders die Rolle der Mathematik im Alltag aufdecken und zeigen, dass Mathematik mehr ist als Rechnen und das Einsetzen von Werten in Formeln. „Die Mathematik ist mittlerweile der Motor für Innovationen in den Spitzensektoren von Forschung und Wirtschaft. Mathematik ist eine Schlüsseltechnologie für Fortschritt und Wohlstand und genau dies macht ihren Erfolg aus“, sind sich die Autoren einig.

SchildersGüntherEhrhardtFotoFriederikevonHeydenWill Schilders, Michael Günther, Matthias Ehrhardt (v.l.n.r ) Foto: Friederike von Heyden„Epidemiologie“, „Sicherheit“, „Kriminologie“ und „Kunst“ sind nur einige von zahlreichen Gebieten, aus welchen die Erfolgsformeln der Mathematik anhand konkreter Beispiele vorgestellt werden. Die einzelnen Kapitel der Themenbereiche haben dabei bewusst ein unterschiedliches mathematisches Niveau, um verschiedene Zielgruppen anzusprechen, sehen Sie selbst: Im März und April stellen wir Ihnen jeden Dienstag hier ein neues Kapitel der „Erfolgsformeln“ vor. Auf den insgesamt 200 Seiten berichten auch neun prominente Vertreter*innen in Interviews über die Rolle der Mathematik in Arbeit und Privatleben. 

Die Idee zu diesem Buch entstand aus einer Broschüre namens 'Succesformules' von niederländischen Mathematiker*innen unter der Leitung von Wil Schilders, der im Wintersemester 2020/21 Mittelsten-Scheid Gastprofessor an der Bergischen Universität in Wuppertal war. Das Buch „Erfolgsformeln - Anwendungen der Mathematik“ ist im September 2021 sowohl in einer gedruckten Version als auch im (kostenlosen) pdf-Format erschienen – gleich mehrere gute Gründe die engagierten Autor*innen zu „Mathemachern des Monats“ zu machen. Lesen Sie hier ein Interview der drei engagierten Buchautor*innen mit Verena Reiter und Thomas Vogt, beide DMV.

sie das Herz von Innovationen ist.

Lieber Herr Ehrhardt, lieber Herr Günther, lieber Herr Schilders, 

Wie sind Sie als junger Mensch zur Mathematik gekommen? Wer oder was hat Sie da besonders geprägt? 

Ehrhardt: Bei mir gab es keinerlei Prägung; mich hat einfach Mathematik und Physik interessiert und wegen der damals aufkommenden Homecomputer hat mir auch das Programmieren sehr gefallen. Also war ein Studium der Technomathematik an der TU Berlin mehr als naheliegend.

Günther: Ich wollte ursprünglich eher Richtung Altphilologie und Archäologie gehen, habe aber dann doch mit Theoretischer Physik angefangen. In den ersten beiden Semestern hat mich dann die Experimentalphysik ob ihrer mathematischen Laxheit abgeschreckt, und die Analysisvorlesung von Prof. Leutbecher an der TU München begeistert. So habe ich auf Diplom Mathematik mit Nebenfach Physik gewechselt, und es keine Minute bereut.

Schilders: Als ich 10 Jahre alt war, antwortete ich auf die Frage eines Freundes, was ich werden wolle: Doktor der Mathematik. In der Oberstufe des Gymnasiums hatte ich einen Lehrer, der Mathematik sehr gut erklären konnte und für Interessierte auch nach der Schule Unterricht in metrischen Räumen und Topologie gab. Damit war für mich die Entscheidung klar!

Wo sehen die Herausforderungen für die Mathematik der Zukunft?

Ehrhardt: Techniken wie „autonomes Fahren“, „Design von Medikamenten“, Maschinelles Lernen“, usw. erobern immer mehr die tägliche Arbeitswelt und die Anforderungen an das technische und mathematische Verständnis von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen.

Eine Herausforderung der Mathematik sind hoch-dimensionale mathematische Probleme, wie sie im Medikamentendesign oder auch im „Human Brain Project“ auftauchen. Diese Probleme sind selbst für Supercomputer zu komplex und erst mathematische Methoden machen diese Probleme in vertretbarer Zeit berechenbar.

Schilders: Mathematik ist in vielen Bereichen wichtig und wird in unserer immer komplexeren Gesellschaft dringend benötigt. In der Industrie werden zunehmend virtuelle Entwurfsumgebungen eingesetzt, die durch modernste mathematische Methoden ermöglicht werden. Man spricht hier von "digitalen Zwillingen". Auch im Bereich der künstlichen Intelligenz ist die Mathematik von großer Bedeutung: Man muss verstehen, warum tiefe neuronale Netze funktionieren oder nicht funktionieren und wie man sie effizienter machen kann. Hochleistungsrechnen stellt hohe Anforderungen an mathematische Methoden, und auch im Bereich der Datenwissenschaft wird viel Mathematik benötigt. Auch bei Lösungsansätzen für den Klimawandel und die Energiewende ist die Mathematik unverzichtbar. 

Warum denken Sie es ist wichtig, Mathematik einem breiten Publikum näherzubringen?

Ehrhardt: Viele Menschen können sich nicht vorstellen, was ein Mathematiker oder eine Mathematikerin genau beruflich macht. Es ist auch tatsächlich schwer zu erklären, weil es praktisch nichts mit Schulmathematik zu tun hat. Ich denke es ist sehr wichtig, eine gewisse Kultur, oder auch Lobby, für die Mathematik zu schaffen. 

Günther: Das wäre eigentlich Aufgabe der Schule, Mathematik als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts aufzuzeigen, die alle Bereichen unseres Lebens durchdringt, oft aber unsichtbar ist, und genau das ist das Problem. Unser Buch ist als Hilfestellung für Lehrer_innen und Schüler_innen gedacht mit Beispielen aus der Alltagswirklichkeit die Bedeutung der Mathematik in den verschiedensten Bereichen aufzuzeigen. Die Hoffnung ist, dass es das eine oder andere Beispiel auch in den Unterricht engagierter Lehrer*innen schafft. Erste Rückmeldungen lassen uns das auch hoffen.

Schilders: Mathematik ist für viele Menschen oft unsichtbar, leistet aber dennoch oft einen großen Beitrag zu sichtbaren Erfolgen. Die Mathematik spielt in der Regel nicht die Hauptrolle, aber ohne die zugrunde liegende Mathematik wäre der Erfolg nicht möglich gewesen. Ich denke, Mathematiker sollten sich in der Öffentlichkeit besser präsentieren, sichtbarer sein und zeigen, was sie geleistet haben. 

Wie kam es zu der Idee/dem Buch Erfolgsformeln? Was Ist Ihre Mission?

Ehrhardt: Die Idee kam ursprünglich von der niederländischen Version des Buches. Es war naheliegend, davon ausgehend ein solches Buch auch für den deutschsprachigen Raum zu konzipieren. Unsere Mission ist es, mehr Studierende in den naturwissenschaftlichen Studiengängen, speziell in der Mathematik, zu gewinnen. Unsere Absolvent_innen haben exzellente, krisensichere Arbeitsplatzaussichten, daher ist ein Mathematik-Studium eine gute Wahl.
Und natürlich wollen wir auch das öffentliche Bild der Mathematik verbessern. Mit dem Buch wollen wir niederschwellig aufzeigen, in wie vielen Bereichen des Lebens die Mathematik enthalten ist und oft den entscheidenden Unterschied macht. In vielen Anwendungen ist sie der „Motor“.

Günther: Unser nächster Schritt ist eine internationale Version auf Englisch. Wir haben international Organisation, wie ICIAM und ECMI, gewonnen, dieses Vorhaben zu unterstützen. Wir hoffen Ende 2022 damit fertig zu sein. Inzwischen ist auch eine dänische Übersetzung in Arbeit, unterstützt von der „Danish Mathematical Society“
bzw.  der „Danish Gymnasium Math Teacher Association“. Sie sehen, unser Projekt schlägt erste Wellen.

Schilders: Die ursprüngliche Idee entstand 2013 bei der Plattform für Mathematik in den Niederlanden, deren Direktor ich bin. Wir hielten es für notwendig, vor allem den Schülern der Sekundarstufe zu zeigen, was man mit Mathematik machen kann, dass man nach dem Mathematikstudium Mathematiklehrer werden kann, aber auch viele andere Berufe ergreifen kann. Im Jahr 2014 haben wir das Buch "Erfolgsformeln" veröffentlicht und seitdem mehr als 15.000 Exemplare verteilt. Als ich das Buch dem Rektor der Bergischen Universität Wuppertal, Prof. Lambert Koch, gab, sagte er sofort: "Das sollten wir auch in Deutschland haben.‘‘ Matthias Ehrhardt und Michael Günther waren sofort begeistert, und so ging es los.

2021Paul Berghold neuViktor Gerlach, Foto: privat
Viktor Gerlach ist ein junger, sehr engagierter Mathematik- und Sportlehrer am Hochrhein-Gymnasium im Schwarzwald. Neben seinem langjährigen Engagement für „Mathe im Advent“ ist er an seiner Schule auch von der Schülerschaft gewählter Verbindungslehrer. Das Interview mit ihm führte Stephanie Schiemann, vormals DMV-Netzwerkbüro Schule-Hochschule, jetzt geschäftsführende Gesellschafterin von Mathe im Leben gemeinnützige GmbH.
 
 
 
 
Sie nehmen schon seit 2015 mit Ihren Schulklassen an „Mathe im Advent“ teil. Wie sind Sie damals darauf aufmerksam geworden und was hat Sie dazu bewogen über die Jahre dabei zu bleiben?

Ich bin in meinem Referendariat über meinen damaligen Mentor Herrn Rudolf auf den Wettbewerb aufmerksam geworden. Er nahm damals mit seinen Kursen am Mathekalender für die Oberstufe teil und war auch einmal in Berlin bei der Preisverleihung. Das hat mich beeindruckt und ich wollte meinen Schülerinnen und Schülern noch etwas mehr bieten als den normalen (hoffentlich guten) Matheunterricht. Als ich mich über den Wettbewerb informiert hatte, entdeckte ich, dass es auch den Wettbewerb „Mathe im Advent“ für die Klassen 5-9 gibt. Darüber war ich so erfreut, dass ich meine damalige 7a direkt zum Wettbewerb anmeldete.

Über die Jahre kamen dann immer mehr Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte dazu, so dass in diesem Jahr ungefähr jede:r zweite Schüler:in des Hochrhein-Gymnasiums aus Waldshut-Tiengen bei dem Wettbewerb dabei war. Bei so einem großen Zuspruch, musste ich nicht lange überlegen, ob ich weiter dabeibleibe.

Sie haben als Lehrer selbst 2x 24 = 48 Punkte erreicht - klasse! Nur wenige Lehrkräfte lösen tatsächlich alle Aufgaben. Warum machen Sie das? Was zeichnet Ihrer Meinung nach die Aufgaben aus?  
Danke, das ist tatsächlich jedes Jahr mein Ziel! Als Lehrer möchte ich selbstverständlich ein gutes Vorbild sein. Vor allem möchte ich aber mit meinen Schülerinnen und Schülern über die Aufgaben diskutieren können und das geht nur, wenn ich sie auch selbst bearbeitet habe. Manchmal kommen meine Schülerinnen und Schüler in den Pausen auf mich zu und sprechen mich auf die Aufgaben vom Wochenende oder dem aktuellen Tag an.

Die Aufgaben beginnen immer mit einer Geschichte über Wichtel oder den Weihnachtsmann, die ein Problem haben und eine Lösung suchen. Häufig haben sie einen interessanten Bezug zu Themen wie dem Klimawandel und es wird erkennbar wofür man den mathematischen Inhalt braucht. Zudem sind sie als Multiple-Choice-Aufgaben gestellt. Das motiviert und ermöglicht, in unterschiedlicher Form an die Aufgabe heranzugehen. Diese Option gibt es selten bei Schulbuchaufgaben.

 

…man sich auf sie verlassen kann: In einer Welt mit vielen Unsicherheiten, wirkt sie wie ein solides Fundament. Sie eröffnet einem eine Welt, die manchmal schwer zugänglich erscheint, doch sobald man den Zugang findet, erscheint vieles gar nicht mehr so schwer.

 

Wie haben Sie es geschafft, Ihre Kolleg*innen und Studienfreund*innen zur Teilnahme an „Mathe im Advent“ zu bewegen?
Ich glaube, dass meine Begeisterung für diesen Wettbewerb der entscheidende Faktor ist. Ich erzähle immer gerne von meinen positiven Erfahrungen und finde den Wettbewerb so toll, dass meine Freunde und Kolleg:innen, das anscheinend auch mal ausprobieren wollen.

Wo sehen Sie den Mehrwert der Teilnahme im Klassenverband?
Wenn man als Klasse an einem Wettbewerb teilnimmt, kann man sich gegenseitig dazu motivieren, die Aufgaben zu lösen. Man kann mit seinen Mitschülern über die Lösungen diskutieren und entwickelt einen gewissen Ehrgeiz, möglichst gut abzuschneiden. Zudem ist der Klassenwettbewerb so gestaltet, dass man durch eine falsche Lösung der Klasse nicht schadet, sondern dass jede einzelne Antwort die Klasse im Ranking voranbringen kann. So braucht niemand Angst zu haben, auch mal eine falsche Antwort abzugeben. Gleichzeitig stärkt so ein Klassenwettbewerb auch immer die Klassengemeinschaft, insbesondere natürlich, wenn man am Ende erfolgreich ist und etwas gewinnt.

Ich denke, diese Teamfähigkeit ist gerade in der heutigen Berufs- und Arbeitswelt wichtig für den Erfolg.

Sie sind auch von der Schülerschaft gewählter Verbindungslehrer Ihrer Schule. Was ist Ihre Aufgabe in dem Amt?

Als Verbindungslehrer bildet man die Schnittstelle zwischen den Schülerinnen und Schülern einerseits und der Schule andererseits. In der SMV (Schüler mit Verantwortung) engagieren sich Schülerinnen und Schüler für ihre Belange. Hier können sie Ideen und Wünsche äußern, was ihnen für ein gutes und glückliches Schulleben wichtig ist. Als Verbindungslehrer hilft man zudem bei der Umsetzung verschiedener Projekte, wie zum Beispiel einem Sommerfest am Ende des Schuljahres oder einem Weihnachtsbasar. Aktuell arbeiten wir daran, eine „Fairtrade-School“ zu werden und hoffen, dieses Siegel am Ende des Schuljahres zu erhalten. Über das Schuljahr verteilt laufen viele kleine Projekte wie die Aktionen „Handys für Hummeln“ oder „Send-a-Clause“.

Die Arbeit als Verbindungslehrer macht mir besonders Spaß, weil man einen anderen Einblick in das Schulleben bekommt und die Schülerinnen und Schüler von einer ganz anderen Seite kennenlernen kann.

Nun ist Ihr Lehramtsstudium noch nicht lange her. Wie kam es zu Ihrer Berufswahl? Wie zu der Fächerauswahl?
Ich habe bereits als Abiturient eine Jugendmannschaft in meinem Fußballverein betreut und festgestellt, dass ich es großartig finde, junge Menschen auf ihrem Weg zu begleiten und sie in ihrer Entwicklung zu fördern. Gleichzeitig hatte ich als Schüler immer viel Spaß im Mathematik- und Sportunterricht und empfinde diese beiden Fächer als besonders wichtig, sowohl für die persönliche als auch die geistige und körperliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen. Durch die Wahl des Studiums konnte ich so meine Talente und meinen Wunsch in Einklang bringen und bin sehr glücklich darüber, als Lehrer am Hochrhein-Gymnasium arbeiten zu dürfen. Unsere Schüler, deren Eltern, aber auch meine Kolleginnen und Kollegen und alle am Schulleben beteiligten Personen sorgen dafür, dass ich weiterhin sehr motiviert als Lehrer zur Schule komme.

Wie bewerten Sie Ihr Studium und das Referendariat im Nachhinein? Haben Sie Verbesserungs- bzw. Veränderungsvorschläge?
Das Studium (insbesondere das der Mathematik) war schon ziemlich anspruchsvoll, aber auf diese Weise kann man sich gut in die Schülerinnen und Schüler hineinversetzen, die manchmal überfordert sind. Zudem hat man sich, während des Studiums viel Wissen und viele Fähigkeiten angeeignet, so dass man sich auf seinem Gebiet kompetent fühlt und den Schülern viel beibringen kann.

Das Referendariat empfand ich dann gar nicht mehr so herausfordernd, weil ich bereits während des Studiums viele Erfahrungen bei der Arbeit mit Jugendlichen gemacht habe. Die jahrelange Erfahrung als Trainer und Betreuer in der Jugendfußballabteilung der FT1844 Freiburg und in der Abteilung „gesellschaftliches Engagement“ des SC Freiburg hat mir sehr geholfen.

Ich kann jedem oder jeder angehenden Lehramt-Studierenden nur empfehlen, möglichst früh in die Arbeit mit Kindern oder Jugendlichen einzusteigen und eine Sport- oder Freizeitgruppe als Verantwortlicher zu übernehmen. Das war zu meiner Zeit noch nicht so stark in den Studienplänen der Universitäten verankert.

Was ist Ihnen persönlich am Mathematikunterricht wichtig? Was möchten Sie den jungen Menschen beibringen / mitgeben?
Mir ist besonders wichtig allen Schülerinnen und Schülern klarzumachen, dass jeder und jede Mathematik verstehen kann. Leider erlebt man immer wieder Voreinstellungen, dass man zu schlecht ist oder es nicht versteht. Ich vertrete die Meinung, dass jede/r in der Lage ist, gut in Mathematik zu sein bzw. zu werden. Es erfordert viel Engagement und Durchhaltevermögen, aber wenn man es schafft diese Eigenschaften an den Tag zu legen, dann stehen einem am Ende der Schullaufbahn viele Wege offen.

Wenn ich es schaffe, meinen Schülern ein gesundes Selbstbewusstsein mit auf den Weg zu geben, dass sie alles schaffen können, wenn sie es wollen, dann macht mich das glücklich.

Würden Sie Ihren Schüler*innen empfehlen auf Lehramt Mathematik oder auch andere Fächer auf Lehramt zu studieren? Warum?
Selbstverständlich! Ich finde, der Lehrerberuf ist zwar manchmal ein anstrengender Beruf, aber auch ein Beruf, der einem viel zurückgibt. Gerade wenn die Abiturient:innen am Ende der Schullaufbahn unsere Schule verlassen und man sieht, was für einzigartige und großartige Menschen aus ihnen geworden sind, dann blickt man gerne auf die Zeit zurück, in der man sie noch in der Unterstufe erlebt hat und noch gar nicht wusste, in welche Richtung ihre Entwicklung geht.

Ich persönlich bin auch glücklich mit der Wahl meiner beiden Fächer Mathematik und Sport, aber das muss natürlich jeder, jede selbst entscheiden: Wo sind meine Talente und was macht mir Spaß?

2021Paul Berghold neu
Paul Bergold möchte den Spaß am Mathematik Lernen fördern. Bereits als Abiturient wurde er mit dem Abiturpreis der Deutschen Mathematiker-Vereinigung ausgezeichnet. Heute promoviert er im Fach Mathematik an der Technischen Universität München und erstellt für das Nachhilfe-Start-up ABIcrash Lehrmaterialien und Kurskonzepte. Das Interview mit dem vielseitigen 30-jährigen „Mathemacher der Monate November und Dezember 2021" führte Beate Klompmaker.
 
Was war Dein erstes „Mathematisches Erlebnis“?
In der 10. Klasse habe ich als Realschüler am bayerischen Landeswettbewerb Mathematik teilgenommen und durfte im Anschluss an einem Wochenendausflug gemeinsam mit den anderen Sieger*innen in Würzburg teilnehmen. Dort bin ich zum ersten Mal ganz bewusst mit interessanten mathematischen Problemen in Berührung gekommen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir Aufgaben aus der diskreten Mathematik behandelt haben. Damals war ich verblüfft, wie viel man mit dem Schubfachprinzip beweisen kann.


Mathematik ist stark mit Deinem Lebenslauf verknüpft. Warst Du im Mathe-Leistungskurs ein Einserkandidat?
Ja, tatsächlich war ich mir in der Oberstufe auch schon ganz sicher, dass ich Mathematik studieren möchte. Bei der Wahl meiner Leistungsfächer war Mathematik deswegen ohne Frage ein absolutes Muss! Mein selbst gestecktes Ziel, in allen Oberstufenzeugnissen 15 Punkte zu erreichen, habe ich glücklicherweise geschafft und am Ende sogar den DMV-Abiturpreis gewonnen. Darüber habe ich mich wirklich unglaublich gefreut, weil ich mich dadurch schon wie ein kleiner Mathematiker gefühlt habe.

 

… sie ganz verschiedene Menschen miteinander verbindet.

 

Was meinst Du, wie kann man die Angst vor dem Fach Mathematik abbauen?
Das ist eine gute und wichtige Frage, über die ich schon oft nachgedacht habe. Ich bin mir sicher, dass es hilfreich wäre, wenn wir den Schulunterricht so gestalten würden, dass Schüler*innen mehr Erfolgserlebnisse mit Mathematik verbinden könnten. Dazu gehört meiner Meinung nach auch, dass wir zum Beispiel mal unser klassisches Notensystem hinterfragen. Das ständige Bewerten nimmt vielen Schüler*innen (und übrigens auch vielen Studierenden) oftmals den Spaß an der eigentlichen Sache und ein ständiger quantifizierbarer Konkurrenzdruck kann schnell zu einer vermeidbaren Abwärtsspirale führen. Gerade Schüler*innen in niedrigen Klassenstufen sollten erst mal für das interdisziplinäre Lösen von interessanten Problemen begeistert werden und nicht für lästige Prüfungen lernen müssen, die im schlimmsten Fall Fähigkeiten abfragen, deren Sinn und Nutzen sie selbst noch gar nicht richtig begreifen.


Wer kann Mathematik studieren und worauf kommt es im Studium an?
Ich glaube, Mathematik können alle studieren, die sich für Abstraktion, Struktur (im Sinne von Ordnung) und die Idee von Beweisbarkeit begeistern. Auf die Frage, worauf es im Studium genau ankommt, kann ich nicht präzise antworten. Die Teilgebiete der Mathematik sind mittlerweile so weitreichend, dass es in unterschiedlichen Disziplinen auf ganz verschiedene Fähigkeiten ankommt. Weil das klassische Beweisen aber so gut wie immer im Mittelpunkt steht, würde ich auf jeden Fall sagen, dass Spaß am logischen Argumentieren eine gute Voraussetzung ist. Und gerade zu Beginn des Studiums ist es wichtig, eine gewisse Ausdauer zu haben, Niederlagen einzustecken. Sicher eher weniger kommt es auf die Fähigkeit an, Dinge auswendig zu lernen. Mathematik lebt von der Kreativität des eigenen Denkens!

Du bist Autor und Qualitätsbeauftragter von ABIcrash. Was ist ABIcrash?
ABIcrash ist ein Projekt der MARBA GmbH, einem jungen Start-up, das sich zum Ziel gesetzt hat, verschiedene Bildungsprojekte für Schüler*innen und Studierende umzusetzen. Mit dem Ziel, Schüler*innen den Spaß am Fach Mathematik zu vermitteln, entwickelte der Gründer Marvin Balletshofer (1997–2020) ein eigenes Nachhilfe-Konzept und unterstützte ab 2017 selbst erste Kursgruppen bei der Vorbereitung auf das Mathematik-Abitur. Voller Tatendrang begann Marvin gemeinsam mit einem Freund ein eigenes Kursbuch zu schreiben, rekrutierte weitere Lehrer*innen und erbaute so Stück für Stück ein aufstrebendes Start-up, das mit seinen angesagten Vorbereitungskursen nach und nach mehr Städte in Deutschland eroberte. Ich selbst habe Marvin dann im Herbst 2018 durch Zufall auf einer Zugfahrt kennengelernt (er hatte mich einfach angesprochen, weil er neben mir saß und durch meine Unterlagen erahnte, dass ich irgendetwas mit Mathematik mache) und konnte damals sofort spüren, wie begeistert er von Mathematik war. Nachdem wir Kontaktdaten ausgetauscht und uns später ein paar Mal getroffen hatten, fragte mich Marvin, ob ich die Überarbeitung und Weiterentwicklung seiner Materialien übernehmen könne. Somit wurde ich schleichend ein Teil von ABIcrash. Heute bieten wir zahlreiche verschiedene Kursmodelle und Lernmaterialien an, die auf die bundeslandbezogenen Bedürfnisse von Schüler*innen unterschiedlicher Jahrgangsstufen und Leistungsniveaus angepasst sind. Darüber hinaus erstellen wir kostenlose Lernmaterialien und Online-Kurse, mit denen wir versuchen, Schüler*innen den Spaß an der Mathematik (zurück-) zu bringen. Als ausgebildeter Mathematiker liegt es mir dabei ganz besonders am Herzen, gemeinsam mit meinem Team fachlich einwandfreie Materialien zu entwickeln, die sich in vielen inhaltlichen Punkten von Angeboten anderer Anbieter unterscheiden.
 

Der Gründer Marvin Balletshofer ist letztes Jahr bei einem unverschuldeten Verkehrsunfall gestorben. Wie ist es dann weitergegangen?
Marvins plötzlicher Tod war für uns alle bei ABIcrash natürlich ein schwerer Schock. Er war ja der Gründer und darüber hinaus derjenige, der allen Bereichen des Unternehmens mit seiner unverwechselbar sprühenden Art eine besondere Note gegeben hatte. Kurz vor seinem Tod gründeten wir außerdem gemeinsam mit einem weiteren Freund und einer Freundin eine GmbH, mit der wir neben ABIcrash noch weitere Zukunftsprojekte angehen wollten. Für uns und Marvins Eltern stand im letzten Sommer deshalb schnell fest, dass wir die Ideen und den Spirit von Marvin gemeinsam weitertragen möchten. Und um zu verdeutlichen, dass er immer noch ein Teil von uns ist, haben wir die Firma zu „MARBA” (ein Silbenwort abgeleitet von MARvin BAlletshofer) umbenannt. Unser Slogan „Education For A New Generation” soll darüber hinaus vermitteln, dass die heranwachsende Generation bei der Entwicklung unserer Angebote im Mittelpunkt steht.

Habt ihr noch weitere Bildungsprojekte realisiert?
Ein weiteres Vorhaben, das wir mittlerweile umgesetzt haben und dessen Gewinne vollständig einem Spendenprojekt für Schule und Bildung im Nordirak zugutekommen, war die Veröffentlichung eines Jugendbuches, das die Geschichte der jungen Jesidin Jihan (*2004) erzählt, die zehn Monate in IS-Gefangenschaft erleben musste und 2016 als Flüchtling nach Deutschland (genauer gesagt in Marvins Heimatstadt) gekommen ist. Weil die Aufarbeitung von Jihans Geschichte für Marvin ein Herzensprojekt war, flog er 2019 gemeinsam mit ihr zurück in den Irak, machte sich vor Ort selbst einen Eindruck und sammelte Bild- und Filmmaterial. Leider hat es Marvin nicht geschafft, die Ausarbeitung des Buches mit Jihan abzuschließen, aber mit der Hilfe von Marvins Mutter konnten wir diesen Sommer das fertige Buch in unserem Verlag veröffentlichen und organisieren jetzt Lesungen des Buches, die wir mit sogenannten School Talks der Hilfsorganisation HÁWAR.help verbinden. Mit der MARBA GmbH möchten wir auch in Zukunft solche Bildungsprojekte umsetzen und soziales Engagement zeigen.

Was macht für Dich gutes mathematisches Unterrichtsmaterial/ Lernmaterial aus?
Das kommt natürlich immer darauf an, welches Ziel die Lernenden selbst verfolgen. Im Fall von Schüler*innen besteht das Ziel meist darin, die nächste Klausur oder eine Abschlussprüfung wie das Abitur erfolgreich zu meistern. Mit ABIcrash versuchen wir deshalb, Schüler*innen bei diesem Ziel möglichst individuell zu unterstützen. Dafür haben wir beispielsweise bundeslandspezifische “Checklisten” entworfen, mit denen Schüler*innen eine Übersicht aller abiturrelevanten Themen bekommen sollen und auf der sie ihre Leistungssteigerung verfolgen können. Die Unterteilung in verschiedene Leistungsniveaus findet sich dann in ähnlicher Weise auch in unseren Unterrichtsmaterialien wieder. Bei der Ausarbeitung all unserer Angebote achten wir allerdings auf ganz verschiedene Punkte und probieren auch viel aus; zusammenfassend lässt sich aber sagen: Mit ABIcrash wollen wir Mathematik abwechslungsreich und auf Augenhöhe vermitteln, achten aber darauf, dass der fachliche Rahmen stimmt. Eine weitere Besonderheit von ABIcrash ist übrigens, dass unsere Bücher als Bühne für junge Künstler*innen dienen. So gibt es beispielsweise wechselnde Buchcover (gestaltet von Leonardo Wassermann) und eine unterhaltsame “ABIcrash-Gang” bestehend aus mathematischen Symbolen, die in Form eines Mathematik-Comics durch alle Kapitel unseres Kursbuches und Online-Angebote führt. Passend zur Jahreszeit hat unser Grafiker Miró Tiebe gerade diese Woche eine Halloween-Version erstellt.

2021 Paul Bergholdabicrash1Helloween-Gestaltung von Miró Tiebe

Wie hat sich die Coronazeit auf Deine Tätigkeiten ausgewirkt?
Für mich bestand die größte Veränderung darin, dass ich an der Universität die letzten drei Semester ausschließlich virtuell unterrichten durfte. Darüber war ich wirklich traurig — zum einen, weil Lehre am Campus zu mehr Abwechslung meines eigenen Arbeitsalltags führt, und zum anderen, weil der physische Kontakt zur Folge hat, dass ich besser wahrnehme, wenn meine Erklärungen nicht verstanden werden und dann schneller darauf reagieren kann. Umso mehr freue ich mich auf das neue Semester, das bei uns nun wie vor Corona wieder in Präsenz gestartet ist.

 
Worüber promovierst Du?
In meiner Doktorarbeit geht es im Wesentlichen um die mathematische Analyse und Weiterentwicklung eines speziellen numerischen Verfahrens zum Lösen der Schrödinger-Gleichung, das 2016 von Kolleg*innen aus der theoretischen Chemie vorgeschlagen wurde. Die Schrödinger-Gleichung ist eine sehr grundlegende partielle Differentialgleichung der Quantendynamik, deren Lösungen uns verraten, wie sich Quantensysteme zeitlich entwickeln. Gerade im Bereich der Quantenchemie taucht die Schrödinger-Gleichung oft auf, da mit ihr zum Beispiel die Eigenschaften von Molekülen beschrieben werden können. Das Problem dabei ist, dass auch schon kleine Moleküle sehr viele Freiheitsgrade besitzen (für CO2 ergeben sich durch die 3 Kerne und 22 Elektronen im 3-dimensionalen Raum zum Beispiel schon 75 Freiheitsgrade) und zudem die Lösungen typischerweise stark oszillierende (Wellen-)Funktionen sind, sodass selbst Supercomputer bei Simulationen schnell an ihre Grenzen kommen. Die Entwicklung effizienter Algorithmen (und sei es nur für ausgewählte Spezialfälle) ist deshalb ein wichtiges und interessantes Forschungsgebiet, das ganz verschiedene Disziplinen vereinigt.
 
Wer sind Deine Vorbilder?
Ich bewundere ganz verschiedene Menschen, habe allerdings keine bestimmten Vorbilder. Es fasziniert mich sehr, wenn jemand mit viel Disziplin eine besondere Fähigkeit heraus arbeitet und dabei nach Perfektion strebt.

 

Foto: privat

Krappthumb 27Dr. Lothar Sebastian Krapp (Uni Konstanz), Foto: Inka ReiterMathemacher im Herbst 2021 ist Dr. Lothar Sebastian Krapp von der Universität Konstanz. Er hat dieses Jahr den KlarText-Preis der Klaus Tschira Stiftung für die verständliche Erläuterung seiner Doktorarbeit „Algebraic and Model Theoretic Properties of O-minimal Exponential Fields“ bekommen. In seinem Beitrag „Wahr oder Falsch? Ein Algorithmus entscheidet…” beschreibt der 28-jährige Nachwuchsmathematiker, wie bestimmte Algorithmen dabei helfen können, mathematische Aussagen als wahr oder falsch zu erkennen. Und um den schulischen Nachwuchs am Bodensee kümmert er sich auch. Lesen Sie selbst!

 

… sie uns dazu einlädt, abstrakte Herausforderungen anzunehmen und kreativ zu lösen.

 

Wie sind Sie zur Mathematik gekommen? 

Neben Informatik, Politik & Wirtschaft und Physik war Mathematik mein Lieblingsfach in der Schule. Bis ich etwa 15 war, hatte ich mir immer vorgestellt, später für eine Bank oder an der Börse zu arbeiten. Ein sehr engagierter Lehrer, den ich eigentlich selbst gar nicht im Unterricht hatte, wurde über einen Mathematik-Wettbewerb auf mich aufmerksam und lud mich in seine Uni-Mathe-AG ein. Dort kam ich das erste Mal mit Hochschulmathematik in Berührung und hatte schnell Spaß daran, Aussagen zu beweisen, anstatt Rechenaufgaben zu lösen. Als dieser Lehrer die Schule verließ, um zu promovieren, gab er mir noch einiges mit auf den Weg: Er ermutigte mich, ein Schülerstudium an der TU Braunschweig zu beginnen und mich später für einen Studienplatz an der University of Oxford zu bewerben – Ideen, auf die ich niemals selbst gekommen wäre. So saß ich also in den ersten Uni-Vorlesungen und war begeistert von den herausfordernden Übungsblättern, den Tutorien, die von motivierten Studierenden geleitet wurden, und den inhaltlichen Konzepten der Vorlesungen. In dieser Zeit wurde mir klar, dass ich mich langfristig im Bereich der Hochschulmathematik sehe.Den Grundstein für meinen Werdegang in der Mathematik legte also meine Faszination für abstrakte mathematische Herausforderungen. Die Weichen haben aber schlussendlich Lehrende gestellt, deren Anliegen es war, junge Talente zu fördern und sich weit über ihre eigentlichen Aufgaben für die Lernenden einzusetzen.

Worum geht es in Ihrer Dissertation, für die Sie ja den KlarText-Preis der Klaus Tschira Stiftung bekommen haben?

Der Ausgangspunkt meiner Arbeit war eine Fragestellung aus den 1940er Jahren von Alfred Tarski. Zu jener Zeit waren Computer größtenteils noch theoretische Konstrukte, die man eher als Schaltskizzen und formale Beschreibungen denn als fertige Maschinen vorfand. Das Konzept eines Algorithmus war jedoch schon sehr weit entwickelt und auch unser heutiges mathematisches Verständnis eines Algorithmus wurde in jener Zeit geprägt. Tarski selbst konstruierte einen Lösungsalgorithmus für „elementare Algebra und Geometrie“, wie er selbst schrieb. Dieser konnte komplizierte mathematische Formeln auf eine einfache Form bringen und damit unter anderem entscheiden, ob bestimmte mathematische Aussagen wahr oder falsch sind. Das funktionierte jedoch nur für solche Aussagen, in denen allein die Grundrechenarten auftreten (deshalb sprach Tarski von elementarer Algebra). Wer aber kürzlich über Schlagzeilen wie „Wir müssen exponentielles Wachstum verstehen!“ und Begriffe wie „Verdopplungszeit“ stolperte, erinnert sich vielleicht, dass sich nicht alle mathematischen Prozesse allein mit den vier Grundrechenarten beschreiben lassen. Da der Tarski-Algorithmus mit der Operation des Exponenzierens, also Ausdrücken wie x3 und 3x, nicht umgehen kann, stellte sein Entwickler die Frage, ob es einen erweiterten Entscheidungsalgorithmus gibt, der auch mit dieser weiteren Rechenart zurechtkommt.

Gibt es diesen?

Diese Frage konnte bis heute nicht vollständig beantwortet werden. Es gibt jedoch zwei Algorithmen, die vielleicht die Forderungen von Tarski erfüllen. Diese können auf jeden Fall mit der Rechenoperation des Exponenzierens umgehen. Weiterhin liegen sie zumindest nie falsch: Wenn wir eine Aussage mit diesen Algorithmen zu lösen versuchen und sie uns die Information geben, dass die Aussage wahr ist, dann ist sie auch wahr. Das Problem ist, dass wir noch nicht wissen, ob die Algorithmen auch jedes Mal fertig werden, wenn wir eine Frage stellen. Für uns ist es nicht möglich, zu unterscheiden, ob die Algorithmen einfach nur sehr sehr lange brauchen oder vielleicht sogar niemals fertig werden.

Das Interessante ist, dass beide Algorithmen sicher funktionieren würden, wenn jeweils eine bestimmte Vermutung wahr ist. Wenn diese beiden Vermutungen also bewiesen werden, dann wüssten wir auf jeden Fall, dass die Algorithmen bei jeder Aussage, die wir eingeben, irgendwann – und sei es in Milliarden von Jahren – fertig werden.

Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

In meiner Arbeit habe ich den Zusammenhang zwischen Tarskis anfänglicher Frage und den beiden Vermutungen untersucht. Die eine Vermutung führte zu der Untersuchung sogenannter o-minimaler Exponentialkörper – das sind Zahlensysteme, in denen man exponenzieren darf und in denen es auch unendlich große und infinitesimal kleine Zahlen geben kann. Neben der eigentlichen ursprünglichen Frage von Tarski ging es mir in meiner Dissertation also vor allem darum, o-minimale Exponentialkörper so gut wie möglich zu verstehen und dabei Sichtweisen aus verschiedenen Gebieten der Mathematik wie mathematischer Logik, Algebra, Analysis und Zahlentheorie einzunehmen.

Was sind das für Vermutungen, die Ihrer Arbeit zu Grunde liegen? 

Die erste wichtige Vermutung ist die Vermutung von Schanuel. Sie stammt aus den 1960er Jahren und beschreibt, wie Zahlen x, y, z mit den Zahlen ex, ey und ez zusammenhängen, wobei e die Eulersche Zahl ist. Dies ist besonders interessant, weil die Vermutung auch bestimmte Beziehungen zwischen der Eulerschen Zahl e und der Kreiszahl π erklären würde, die noch unbewiesen sind.

Die zweite wichtige Vermutung ist die Transfer-Vermutung. Sie sagt aus, dass in den neuen Zahlensystemen, die ich betrachte – die sogenannten o-minimalen Exponentialkörper – im Grunde die gleichen Regeln gelten wie im bekannten Zahlensystem der reellen Zahlen.

Welchen Nutzen hat Ihre Arbeit für die Mathematik?

In meiner Arbeit geht es deutlich mehr um einen Erkenntnisgewinn als um die Konstruktion von etwas Anwendbarem. Große offene Vermutungen werden meistens nicht von heute auf morgen bewiesen, sondern es bedarf einer großen Anzahl an Mathematikerinnen und Mathematikern, die sie über die Jahre von verschiedenen Blickwinkeln aus betrachten. In meiner Arbeit habe ich Zusammenhänge zwischen den zugrundeliegenden Vermutungen aufgezeigt. Der größte Teil davon beinhaltete die Untersuchung o-minimaler Exponentialkörper. Da diese ein algebraisches Konstrukt bilden, das bisher noch nicht tiefgehend erforscht worden war, gab es viele Richtungen, in die ich mit meinen Untersuchungen gehen konnte. Ich hoffe, dass in Zukunft Forscherinnen und Forscher, die sich mit der Vermutung von Schanuel, der Transfer-Vermutung oder o-minimalen Exponentialkörpern beschäftigen, Ergebnisse meiner Arbeit für sich nutzen können.

Hat Ihre Arbeit auch Nutzen für den Alltag?

Man könnte denken, dass die Algorithmen, die ich untersucht habe, für den Alltag nützlich sind. In der Tat kann man sie recht schnell in Programmcode übersetzen und sie so auf mathematische Aussagen anwenden. Das Problem dabei ist, dass die Algorithmen zu langsam sind. Selbst für einfachste Aussagen wie „33 = 89“, was natürlich falsch ist, ist es möglich, dass die Algorithmen in 10.000 Jahren nicht fertig werden. Auch wenn die Algorithmen also einwandfrei funktionierten, wären sie im Alltag nicht praktikabel. Der Grund, solche Algorithmen und die zugehörigen Vermutungen zu untersuchen, ist für mich als Wissenschaftler aber gar nicht, eine Alltagsanwendung zu schaffen. Es geht mir vielmehr darum, abstrakte mathematische Welten zu erforschen. Verbindungen zwischen zwei scheinbar unabhängigen offenen Vermutungen aufzudecken, an denen sich seit mehreren Jahrzenten Viele den Kopf zerbrochen haben, hat für die Wissenschaft einen Wert an sich.

Warum haben Sie sich entschieden, einen populärwissenschaftlichen Artikel über Ihre Dissertation zu schreiben?

Wissenschaftskommunikation sehe ich als eine wichtige Aufgabe aller Forschenden an. Neben meiner Arbeit in Hochschullehre und Forschung ist es mir daher sehr wichtig, das, was ich mache, der Gesellschaft näherzubringen. 

Engagieren Sie sich noch in anderen Bereichen in diesem Sinne?

Unter anderem leite ich die Mathe Initiative Bodensee, in der wir versuchen, spannende mathematische Inhalte jenseits des Schulstoffs an Schulen rund um den Bodensee zu bringen. So knobeln wir zum Beispiel mit Fünftklässlern an jahrhundertealten Fragestellungen oder bringen Oberstufenkursen auf Exkursionen die Welt der Hochschulmathematik näher. Über die deutschlandweite Initiative KI macht Schule engagiere ich mich in der Vermittlung von Grundlagen und Auswirkungen von künstlicher Intelligenz, mit deren mathematischen Hintergründen ich mich in einem aktuellen Forschungsprojekt beschäftige. In einem Umfeld, in dem sich junge Nachwuchswissenschaftler*innen ebenso wie Mitarbeiter*innen von IT-Unternehmen dafür einsetzen, ein zukunftsträchtiges Thema einem breiten Publikum von Schüler*innen über Studierende bis hin zu Senior*innen näherzubringen, macht mir die Mitarbeit besonders Spaß!

Die Fragen stellte Thomas Vogt, DMV-Medienbüro