Ulrike Pauli vom Luitpold-Gymnasium München wird Mathemacherin des Monats Januar. Die Gymnasiallehrerin wird für ihren langjährigen Einsatz für den Mathematikwettbewerb Mathe im Advent ausgezeichnet. Mehrere Jahrgänge profitierten bereits von ihrem außerordentlichen Engagement für die Mathematik.

Sowohl Ihre Klassen als auch Ihre Schüler*innen belegen im Wettbewerb regelmäßig Spitzenplätze. Auch in diesem Jahr erreichte ihre Klasse, die 6d des Luitpoldgymnasiums München, den 2. Platz im Klassenwettbewerb; zahlreiche Schüler*innen erlangten die volle Punktzahl.

Besonders erwähnenswert ist jedoch der Umstand, dass Pauli und ihre Schüler*innen selbst aktiv werden im Entwurf von Aufgaben für Mathe im Advent. Sie hat 2018 zwei Aufgabenvorschläge eingereicht; weitere Aufgabeideen stammten von ihren Schüler*innen. Ein Schüler hat bei Mathe im Advent 2018 mit der Aufgbane Fredi denkt im Quadrat dieses Mal in beiden Kalender (für Kl. 4-6 und 7-9) den Aufgabenwettbewerb gewonnen. Auch 2019 wurden schon zahlreiche Aufgabenideen von ihren Schüler*innen eingereicht.

Letztes Jahr begleitete ein Kurzbeitrag der Abendschau des Bayerischen Rundfunks ihre Klasse beim Lösen der Aufgaben.

Doch wie kann man Schüler*innen zu solchen Spitzenleistungen motivieren? Wir haben uns mit der Preisträgerin unterhalten.

paulibildUlrike Pauli (Quelle: Privat)

Sehr geehrte Frau Pauli, herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung! Vielen Schüler*innen wird beim Mathematikunterricht Angst und Bange. Bei Ihren Schüler*innen scheint das nicht so zu sein; woran liegt das?

Pauli: Ich habe heuer zwei Unterstufenklassen und eine Abiturklasse. In der Unterstufe ist die Angst vor der Mathematik noch nicht so groß. Die kommt bei einzelnen Schülern erst mit der Zeit, wenn sie schon so viele Lücken in Mathematik angehäuft haben, dass sie kein Land sehen. Um so wichtiger finde ich, dass man gerade bei den jüngeren Schülern darauf achtet, dass diese Lücken gar nicht erst entstehen. Wenn die Schüler erkennen, dass Mathematik eigentlich ganz einfach ist, wenn man es mal verstanden hat, macht es ihnen auch Spaß. Ich versuche die Schüler dazu zu bringen, dass sie es wirklich verstehen wollen und nicht nur etwas auswendig lernen. Viele Schüler haben z.B. in der Oberstufe in Analysis große Probleme – das liegt häufig nicht an der Motivation oder dem aktuellen Stoff, sondern an den Lücken aus der Mittelstufe. Wer einen Term nicht faktorisieren kann, findet natürlich weder die Definitionsmenge, noch Nullstellen oder Extremwerte. Wir haben jetzt Fachsprechstunden eingeführt, zu denen sich die Schüler anmelden können, wenn sie Fragen zu einem Thema haben und sich noch etwas von einem Lehrer erklären lassen möchten.

In Lehrplänen findet sich häufig kein Platz für kreativen Mathematikunterricht. Inwiefern bietet Mathe im Advent da eine willkommene Abwechslung?

Pauli: Mir gefällt hier besonders, dass die Matheaufgaben in Wichtelgeschichten verpackt sind. Geschichten liest man in der Mathematik ja eher selten. Dann geht es jeden Tag um ein anderes Thema aus der Mathematik. Im Unterricht muss man über längere Zeit dasselbe Thema behandeln – und viele schöne Themen aus der Mathematik stehen gar nicht auf dem Lehrplan. Den Schülern machen die Aufgaben am meisten Spaß, bei denen etwas gebastelt oder gezeichnet werden kann und häufig mehrere Wege ausprobiert werden müssen. Im letzten Jahr gab es z.B. die Aufgabe mit der Zeitung, die erst gefaltet und dann mit einem Bleistift durchstochen wurde – man musste herausfinden, wie viele Löcher entstehen. Auch stellen gerade Schüler der Unterstufe sehr gerne ihren Lösungsweg vor der Klasse vor. Die letzten paar Minuten meiner Stunde gebe ich ihnen gerne, um über die Aufgaben zu diskutieren.

...man hier logisches Denken und eine systematische Vorgehensweise lernt – was man immer gut gebrauchen kann!
 

Wie motivieren Sie ihre Schüler*innen zur Teilnahme an Mathe im Advent?

Pauli: Alle Schüler wollen gerne mal nach Berlin fahren! Das ist für Schüler aus München natürlich der Hauptpreis, auf die Preisverleihung eingeladen zu werden und zwei Tage schulfrei zu bekommen. Am Anfang sind in Unterstufenklassen fast alle begeistert dabei. Das Durchhaltevermögen haben aber nicht alle Schüler. Ich schaue schon nach, wer öfter Aufgaben nicht bearbeitet hat und frage dann nach, was der Grund ist. Fast alle sagen dann, dass sie es einfach vergessen haben, dass sie aber eigentlich schon mitmachen wollen. Wir überlegen uns dann gemeinsam eine Idee, wie man die Abgabe der Lösung nicht vergisst (z.B. Zettel auf das Kopfkissen legen oder sich von einem Mitschüler erinnern lassen). Im Foyer hatte ich in den letzten beiden Jahren einen Adventskalender mit je 24 Türchen für die Kalender 4-6 bzw. 7-9 aufgebaut, in die ich jeden Tag die aktuellen Aufgaben gehängt habe. Wer bei Mathe im Advent teilgenommen hat, durfte in der Früh 15 Minuten früher ins Schulhaus und sich die Aufgabe durchlesen und mit den Mitschülern besprechen. Als Mathematik-Lehrerin habe ich mich natürlich sehr darüber gefreut, hier sehr viele Schüler zu sehen, die schon vor Schulbeginn freiwillig die Lösung von Mathematik-Aufgaben diskutieren.

Wie kann man Schüler*innen sonst noch für die Mathematik begeistern?

Pauli: Mir gefallen neben Mathe im Advent der Känguru-Wettbewerb und der Bolyai-Wettbewerb sehr gut. Der zweite ist noch weniger bekannt. Da dürfen je vier Schüler einer Jahrgangsstufe als Team antreten. Diese Gruppenarbeit gefällt den Schülern sehr gut. Da wir nicht genügend Räume für den Wettbewerb haben, lasse ich sie alle in der Turnhalle schreiben – ohne Tische. Da darf sich dann jedes Team mit den Sportgeräten aus dem Geräteraum einen eigenen „Arbeitsplatz“ bauen – von liegend auf Matten, „Tischen“ aus Kastenteilen bis sitzend um ein Trampolin herum ist alles dabei. Dann macht den Schülern eigentlich alles Spaß, was eben nicht der normale Mathematik-Unterricht ist – z.B. das Anfertigen von riesigen Konstruktionen mit einem Brett, Paketschnur und Kreide im Freien. Momentan versuche ich mit meinem Wahlkurs einen Escape-Room mit Mathematik-Aufgaben zu entwerfen. Es muss aber meiner Meinung nach nicht immer ein besonderes Highlight sein – das kann man als Lehrer auf Dauer gar nicht leisten! Die Begeisterung kommt auch im normalen Mathematik-Unterricht, wenn die Schüler ein Thema wirklich verstanden haben.

Nicht nur Sie selbst, sondern auch Ihre Schüler*innen reichen Aufgabenvorschläge für Mathe im Advent ein. Wie motivieren Sie sie dazu?

Pauli: Zwei Wochen vor Weihnachten im letzten Schuljahr kam mir die Idee mit den Wichtelaufgaben. Die Schüler sollten alleine oder zu zweit eine eigene Aufgabe erfinden. Ich dachte damals nicht daran, diese Aufgaben einzureichen. Als ich allerdings sah, wie viel Mühe sich viele Schüler gemacht hatten (zum Teil hatten sie wie bei allen "Mathe im Advent"-Aufgaben ein Wichtelbild gezeichnet) und was für tolle Ideen dabei waren, habe ich dann doch alle Aufgaben eingereicht. Da für den Adventskalender 2018 vier Aufgaben aus meiner Klasse ausgewählt wurden und die Klasse Bücherpreise gewonnen hatte, haben heuer die meisten Schüler wieder Aufgaben erfunden. Meiner neuen 5. Klasse habe ich das auch vorgeschlagen. Da kam aber leider kein einziger Vorschlag… Es sind also leider nicht alle Schüler so einfach zu begeistern wie meine jetzige 6. Klasse.

Vielen Dank für das Gespräch!

Mathe im Advent wird von der Mathe im Leben gemeinnützigen GmbH in Kooperation mit der Deutschen Mathematiker-Vereinigung ausgerichtet, gefördert von der Gisela und Erwin Sick Stiftung.

Mathemacherinnen der Monate November und Dezember 2018 sind die "Datenwissenschaftlerinnen" Helena Mihaljević und Lucía Santamaría. Die Mathematikprofessorin an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft und die promovierte Physikerin prüfen seit Jahren systematisch Datenbanken auf "Geschlechtereffekte bei Publikationsmustern von Mathematikerinnen und Mathematikern". Wir befragten die jungen Naturwissenschaftlerinnen nach ihren bisherigen Forschungsarbeiten und ihrem aktuellen "Mega-Projekt" zu "Gender Gap in Mathematical, Computing, and Natural Sciences". Lesen Sie hier das Kurzinterview zu diesem spannenden Thema.

Helena LuciaHelena Mihaljević und Lucía Santamaría
Quelle: privat

Auf welchen Gebieten der Mathematik waren (sind) Sie im Laufe Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn tätig, in welchen Bereichen haben Sie promoviert?

L.S.: Ich habe eigentlich theoretische Physik studiert und im Bereich astrophysikalischer Quellen von Gravitationswellen für die LIGO Detektoren promoviert. Mathematik ist mir allerdings sehr nah, insbesondere die Differentialgeometrie, die eine zentrale Rolle in den Einsteinschen Feldgleichungen der Relativitätstheorie spielt. Damit habe ich mich während meines Studiums und meiner Promotion besonders gern beschäftigt.

H.M.: In meiner Promotion habe ich mich mit der Dynamik ganzer transzendenter Funktionen beschäftigt. Eine zentrale Frage dabei ist die topologische und geometrische Struktur der Punktmengen, welche im Iterationsprozess instabiles Verhalten aufweisen. Ein Punkt wird dabei als instabil (oder chaotisch) bezeichnet, wenn es in jeder noch so kleinen Umgebung von ihm Punkte gibt, die große Unterschiede bei der Iteration aufweisen. Das Thema meiner Dissertation fällt in das Gebiet (Holomorpher) Dynamischer Systeme, was ein verhältnismäßig junges Teilgebiet der Mathematik ist mit starken Querverbindungen zu anderen mathematischen Bereichen wie beispielsweise Geometrie und Funktionentheorie.

Wann und wie haben Sie Gender-Themen für sich entdeckt?

L.S.: Während des Diplomstudiums habe ich mich mit dem Thema eher wenig beschäftigt. In meiner Universität lag der Anteil von Physik-Studentinnen zwischen einem Drittel und der Hälfte aller Studierenden. Erst am Anfang meiner Promotion ist mir die Unterrepräsentation von Frauen in meiner Forschungsgruppe und allgemein in der ganzen wissenschaftlichen Kollaboration stark aufgefallen. Ein paar Jahre später erst haben meine Kollegin Helena und ich im Rahmen unserer Tätigkeit bei der bibliographischen Datenbank zbMATH begonnen, Geschlechtereffekte bei Publikationsmustern von Mathematikerinnen und Mathematikern systematisch zu analysieren.

H.M.: Als Frau mit einer beruflichen Laufbahn in einem MINT-Fach kommt man an einer Konfrontation mit den geschlechtsspezifischen Vorstellungen und Erwartungen, innerhalb und außerhalb des Bildungssystems, nicht vorbei. Ich hatte persönlich Glück mit meinen Betreuern und dem Forschungsgebiet, in welchem es verhältnismäßig viele Frauen und inspirierende Role Models gab. Aber auch hier gab es den Trend, dass mehr Frauen als Männer die wissenschaftliche Laufbahn verließen. Diesen Effekt wollte ich besser verstehen, und die Daten von zbMATH boten Lucía und mir dafür einen sehr guten Ansatz, denn Publikationen sind mit das wichtigste Mittel der Kommunikation eigener Ergebnisse in der Mathematik, und darüber hinaus.

... wir mit ihr interessante Strukturen und Muster in großen Datenmengen erkennen und auswerten können.

Was waren Ihre maßgeblichen Projekte (oder "Ihre wichtigste" Publikation bisher) in den Gender Studies?

L.S. & H.M.: Aus unserer Studie in der Mathematik entstand 2017 ein weiteres, fachübergreifendes Projekt, "Gender Gap in Science: A Global Approach to the Gender Gap in Mathematical, Computing, and Natural Sciences: How to Measure It, How to Reduce It?”, welches den Fokus auf die sogenannten MINT-Fächer erweitert. Involviert sind 11 professionelle Gesellschaften auf internationalem Niveau, u.a. die International Mathematical Union (IMU), die International Union of Pure and Applied Chemistry (IUPAC), die International Union of Pure and Applied Physics (IUPAP) sowie die UNESCO; gefördert wird das Projekt vom International Science Council. Methodisch nähert sich das Projekt der Geschlechter-Lücke in den MINT-Fächern über drei komplementäre Ansätze: eine direkte Umfrage von Wissenschaftler*innen sowie Absolvent*innen, eine Untersuchung verschiedener bibliographischer Datenquellen mit Hilfe algorithmischer Methoden, und die Entwicklung einer Datenbank von “Best Practices”, um die Beteiligung von Mädchen und Frauen in MINT-Bereichen zu fördern.

In Ihrem aktuellen Projekt stellen Sie die einfach anmutende Frage "Publiziert ein Forscher anders als eine Forscherin?". Gibt es auf diese Frage bereits eine (vorläufige) Antwort? 

L.S.: Sowohl die Ergebnisse der aktuellen Umfrage für Mathematiker, Informatiker und Naturwissenschaftler als auch die Befunde unserer datengetriebenen Analyse von verschiedenen bibliometrischen Quellen liegen noch nicht final vor. Bei beiden Aufgaben haben wir in diesem Jahr maßgeblich an der Vor- und Aufbereitung der Daten und Fragebögen gearbeitet, was bei solchen Projekten typischerweise den Großteil der Arbeit bedeutet. Trotzdem können wir bereits statistische Differenzen bzgl. der Anzahl von Publikationen bzw. Zitationen zwischen Frauen und Männer nachweisen. In den kommenden Monaten werden wir uns mit verschiedenen Hypothesen zu dem sogenannten “gender productivity gap” beschäftigen und mit Hilfe diverser algorithmischer Verfahren versuchen, diese zu verifizieren bzw. zu widerlegen.

H.M.: Für die Mathematik haben wir beispielsweise bereits gezeigt, dass Frauen in besonders wertgeschätzten Zeitschriften signifikant unterrepräsentiert sind. Hierfür kann es mehrere Gründe geben: Werden Artikel von Frauen häufiger abgelehnt? Reichen Frauen ihre Arbeiten tendenziell bei weniger renommierten Zeitschriften ein? Legen Frauen vielleicht öfter andere Kriterien bei der Wahl der Zeitschriften an? Solche Analysen können zwar keine kausalen Zusammenhänge erklären, aber sie helfen Unterschiede herauszustellen, welche für die berufliche Laufbahn von Wissenschaftlerinnen relevant sind. Wir sind sehr gespannt, ob ähnliche Effekte auch in anderen Disziplinen zu erkennen sind. Ebenso interessiert uns hierbei, welche Rolle die geografische Lage spielt und wie sich diese gemeinsam mit dem Gender der Autoren auswirkt.

In welcher Form und wann werden Sie Ihre Daten und Erkenntnisse publik machen?

L.S.: Spätestens zum Schluss des Projektes Ende 2019 wird eine Web-Oberfläche zur Verfügung gestellt, über welche sich Interessierte die Ergebnisse unserer Analysen von Publikationen anschauen können. So wird es beispielsweise möglich sein, sich einen Überblick über die geographische Lage der Autorinnen und Autoren sowie die Entwicklung im Laufe der letzten Jahrzehnte zu verschaffen. Aspekte wie die Kollaborationsintensität zwischen männlichen und weiblichen Autoren sowie zwischen verschiedenen Institutionen werden wir ebenfalls darstellen. Wir wollen unsere Erkenntnisse so offen und flexibel wie möglich gestalten, sodass alle Interessierten möglichst viele eigene Fragestellungen in Bezug auf Geschlecht und Publikationen mit Hilfe unserer Daten beantworten können.

H.M.: Wir werden sicherlich auch den einen oder anderen Artikel, Blog Post etc. veröffentlichen. Der Fokus des Projektes liegt aber vor allem auf der Bereitstellung von statistischen Auswertungen und Visualisierungen über Web-Schnittstellen. Die Ergebnisse sollen dabei möglichst aktuell sein. Dafür haben wir beispielsweise für die Daten von arXiv.org Software entwickelt, welche täglich neue Daten abholt, speichert, algorithmisch verarbeitet und statistisch auswertet. Auf diese Weise soll es allen Interessierten ermöglicht werden, die aktuelle Situation in den jeweiligen Disziplinen zu erforschen.

Formeln und Zahlen, Rechnen und Rechenwege: Vielen Schüler*innen scheint die Mathematik ein undurchdringbares Geflecht aus Variablen, Zahlen und Figuren zu sein, welches sich der Anschauung entzieht und dessen Sinnhaftigkeit auf den ersten Blick nicht immer erkennbar ist. Ein Grund für diese Auffassung ist nicht selten der Mathematikunterricht selbst: Formeln und Sätze, die unhinterfragt auswendig zu lernen sind, dröge Lerninhalte und konstruiert wirkende Sachaufgaben bestimmen oftmals das Wesen des Mathematikunterrichtes. Selbst engagierten Lehrer*innen gelingt es in Anbetracht der Lehrpläne häufig nicht, den Unterrichtsstoff auf spannende Art zu vermitteln, geschweige denn, Schüler*innen individuell in die Entwicklung und Erschließung der Lerninhalte miteinzubeziehen.

Dass das nicht sein muss, zeigen unsere Mathemacherinnen des Monats Oktober, Anne Klein vom Hannah-Ahrendt-Gymnasium Haßloch (Rheinland-Pfalz) und Astrid Merkel vom Kurfürst-Friedrich-Gymnasium Heidelberg (Baden-Württemberg) vom Projekt „Mathe.Forscher“ der Stiftung Rechnen. Mit den von ihnen mitentwickelten Matheboxen ist es möglich, mathematische Sachzusammenhänge auf interaktive Weise zu vermitteln. Das Projekt wird finanziell unterstützt von der Klaus-Tschira-Stiftung.

Wir haben uns mit den beiden ausgezeichneten Lehrerinnen unterhalten.

Sie wurden für die Entwicklung der Matheforschereinheit „Wo ist die Mitte?“ mit dem Mathe.Forscher-Preis ausgezeichnet. Worum geht es dabei?

Astrid Merkel: Es handelt sich um eine Unterrichtseinheit zur Mittelstufen-Geometrie. Die Schülerinnen und Schüler bekamen eine Box an die Hand, in der sich die unterschiedlichsten Materialien befanden, wie beispielsweise Knete, Styropor, Dachpappstifte, Strohhalme, Scheren, Kleber, Pappe und vieles mehr. Hiermit sollten sie die Mitte von selbstgewählten mathematischen Objekten bestimmen...

Anne Klein: ...und dabei erfahren, dass keine eindeutige mathematische Definition eines Mittelpunktes existiert.

Merkel: Das war im Prinzip der Prototyp der Mathe.Forscher-Boxen.

Wie ist die Idee zu den Mathe.Forscher Boxen entstanden? Welche Prozesse werden bei der Entwicklung einer Mathebox durchlaufen?

Klein: Aus dem Prototyp und vielen Gesprächen mit anderen Matheforscherlehrern entstand die Idee, Mathe.Forscher-Boxen  für verschiedene Unterrichtseinheiten zu entwickeln. Insgesamt beschäftigten und entwickelten 8 Kolleginnen und Kollegen 6 verschiedene Unterrichtseinheiten zum forschenden Lernen, die mit Hilfe der Matheforscher Boxen mit hohem Praxisanteil umgesetzt  werden können.
Dieser Prozess zog sich über gut zwei Jahre von der ersten Ideenfindung bis hin zur abschließenden Produktion. Nachdem sich anfangs einzelne Themenfelder herauskristallisiert hatten, kam es zur Entwicklung erster Prototypen, die sowohl von den Entwicklern selbst, aber auch von Entwicklern anderer Boxen und „unbeteiligten“ Mathematiklehrern mehrfach im Unterricht getestet wurden. Im Anschluss wurden sowohl die Arbeitsblätter, die Musterlösungen, die Lehrerhandreichungen, sowie die Materialien noch einmal auf ihre Praxistauglichkeit untersucht und eine abschließende Box zusammengestellt. An einem Packtag im Februar trafen sich dann alle Entwickler und einige Helfer an einer Schule und packten insgesamt 120 Boxen.

sie überall in unserer Welt ist – es gilt sie nur zu entdecken und zu erforschen.

Anders als in anderen MINT-Fächern wie Chemie, Physik oder Informatik gibt es im Mathematikunterricht wenig bis gar keine selbstständige Projektarbeit. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Merkel: Vielleicht ist es die Angst sich vom Schulbuch lösen zu müssen und den Unterricht offener zu gestalten? In Chemie...

Klein: ...und Physik, unseren zweiten Fächern,...

Merkel: ...läuft auch hin und wieder ein Versuch nicht glatt, aber gerade das sind die Experimente, die den Schülerinnen und Schülern im Gedächtnis bleiben und aus denen sie viel mehr lernen und mitnehmen – genauso ist es in der Mathematik auch. Es ist so spannend zu sehen, welche Ideen Schülerinnen und Schüler entwickeln, wenn man ihnen den Freiraum des Erforschens gibt.

merkelkleinAstrid Merkel und Anne Klein

Inwiefern unterscheiden sich die Matheboxen von üblichen Lernmaterialien?

Klein: Die Matheforscherboxen unterstützen eine Unterrichtseinheit, bei der alle Schülerinnen und Schüler einer Klasse gleichzeitig praktisch arbeiten können, während der Lehrer oder die Lehrerin nur noch lernbegleitend agiert. Wie weit sich der Unterricht während dieser Phase zum forschenden Lernen hin öffnet, kann die Lehrkraft noch mitbestimmen...

Merkel: ...Somit wird Kolleginnen und Kollegen, mit wenig oder kaum Praxis mit forschendem Unterricht, ein leichteren Einstieg in die offenere Form des Unterrichtens zu ermöglicht.

Wie ist das Feedback seitens der Lehrer*innen?

Klein: Bis jetzt bekamen wir sehr viel positives Feedback sowohl von den Testern des Prototyps, als auch von den Besuchern der MNU [MNU-Tagung des Verbandes zur Förderung der Mintfächer, Anm. d. Redaktion], bei der wir die Boxen bereits präsentiert haben. Die haptische Erfahrung der Schülerinnen und Schüler während der Experimentierphasen prägt sich ein, so dass sie sich auch später noch an die Experimente, ihre Erfahrungen und die mathematischen Schlussfolgerungen erinnern können.

Wie ist das Feedback seitens der Schüler*innen?

Merkel: Die Schülerinnen und Schüler arbeiten begeistert mit den Materialien, die offenere Form des Unterrichts und das Entdecken/ Erforschen finden sie sehr spannend. Auch die unterschiedlichen Materialien wecken enormes Interesse bei den Schülerinnen und Schülern – ich habe ausnahmslos positive Rückmeldungen erhalten.

Gibt es Themen in der Schulmathematik, die nicht, oder nur schwer mit den Matheboxen vermittelt werden können? Wo liegen die Grenzen?

Merkel: Viele Bereiche der Oberstufen-Mathematik kann man nicht auf Schulniveau erforschen. Das ist meines Erachtens nach aber auch gut so, denn wir wollen die Schülerinnen und Schüler ja auch auf ein Hochschulstudium vorbereiten.
Manch andere Themen könnte man vielleicht mit Hilfe einer Forscherbox einführen und bearbeiten, aber hier steht dann der Zeitaufwand in keiner Relation zum Mehrwert.

Was ist für die Zukunft geplant?

Merkel: Das wissen wir noch nicht.
Wir haben in die Boxen eine Menge Zeit und Ideen investiert. Allerdings – und das ist uns sehr wichtig – ohne etwas daran zu verdienen.
Es wäre toll, wenn die Idee nicht aussterben würde. Uns geht es darum, das forschend-entdeckende Lernen mehr und mehr auch in den Fachunterricht der Kolleginnen und Kollegen zu integrieren.

Wie sind Sie zur Mathematik gekommen, was waren Ihre Beweggründe?

Merkel: Der Matheunterricht fiel mir bis zur Oberstufe sehr leicht. In der Oberstufe musste ich zum ersten Mal was für Mathematik tun – das war total neu, ich wusste gar nicht, wie man Mathematik lernt. Als ich auch das begriffen hatte, war mir klar: „Ich will Mathelehrerin werden!“

Klein: Ich kann mich noch genau an den ersten kleinen Beweis in der Oberstufe erinnern, bei dem man ein gewisses Glücksgefühl empfunden hat, wenn alles am Ende gepasst hat. Diese „Schönheit der Mathematik“, die eigentlich schon viel früher gezeigt werden kann, möchte ich gerne jungen Menschen vermitteln.

Vielen Dank für das Gespräch!

Mathemacherin des Monats August 2018 ist Jessica Fintzen. Sie dissertierte in Harvard über Fragen aus der Gruppentheorie. Für die Arbeit „On the Moy-Prasad filtration and stable vectors“, erhielt sie Preise von der US-amerikanischen Association for Women in Mathematics und der Studienstiftung des Deutschen Volkes, letzterer benannt nach Friedrich Hirzebruch. Zu diesem Anlass erzählte sie ihrer Bremer alma mater, was sie in der Mathematik an Beschreiblichem und Unbeschreiblichem erlebt hat. Wir wollten ein paar Dinge genauer wissen.

fintzenFoto: privat

Eine neue Hirzebruch-Biographie heißt „Das Glück, Mathematiker zu sein“. Sie sprechen vom "unbeschreiblich schönen Gefühl", etwas bewiesen zu haben und den "wunderschönen Strukturen in der Mathematik". Können Sie mich auch zum Schwärmen bringen?

Es ist etwas, was man selber erfahren muss, indem man sich selber mit mathematischen Problemen auseinandersetzt. Wenn Sie einen ersten Eindruck erhalten möchten, was für ein "unbeschreiblich schönes Gefühl" es ist, denken Sie daran, dass Sie sich vielleicht freuen, wenn Sie ein Kreuzworträtsel erfolgreich ausgefüllt haben oder ein Logikrätsel gelöst haben. Und nun stellen Sie sich vor, dass sie es nicht in 5 Minuten geschafft haben, sondern dass es sehr, sehr lange gedauert hat. Ein Jahr lang haben Sie sich jeden Abend daran versucht und endlich haben Sie das letzte fehlende Wort gefunden. Aber das ist nicht alles, denn das Ergebnis ist zudem ein sehr überraschendes Lösungswort, welches Ihnen sehr gut gefällt. Stellen Sie sich vor, wie Sie sich in diesem Moment fühlen und Sie bekommen eine leichte Ahnung, wie es uns Mathematikern bei einer neuen Entdeckung ergeht.

Ich wünschte, ich könnte Ihnen eine bessere Antwort geben. Leider ist es jedoch das traurige Los der Mathematiker, Künstler zu sein, dessen Kunstwerke ein Laie nicht bewundern kann. Ich habe diesbezüglich einmal den folgenden Vergleich gelesen: Stellen Sie sich vor, Sie sollen jemandem, der nie zuvor Feuer gesehen hat, beschreiben, was Feuer ist. Wie tun Sie das? Es ist heiß? Rot? Leuchtend? Es scheint unmöglich zu sein, Feuer präzise zu beschreiben, und so geht es uns Mathematikern ebenfalls.

Ihr Ausbildungsweg führte sie von Bremen auch nach Übersee und aktuell nach England. Haben Sie Unterschiede (in den akademischen Kulturen) gemerkt? Fielen Ihnen die Wechsel und die Integration in die dortigen akademischen Kulturen leicht?

Da ich an jedem Ort für einen unterschiedlichen Ausbildungsabschnitt war, ist es schwer, diese zu vergleichen. Für mich bestand also der Hauptunterschied darin, dass ich mich in einer anderen Ausbildungsstufe befand. Ich habe jedoch das Gefühl, dass in Deutschland das meiste innerhalb von Arbeitsgruppen stattfindet, die einem Professor untergeordnet sind. Diese Struktur ist etwas hierarchischer als in den USA. In den USA gibt es dieses Prinzip der offiziellen Arbeitsgruppen nicht. In den Mathematik-Departments, in denen ich bisher war, fand allgemein ein recht guter Austausch zwischen allen Mitgliedern statt – mathematisch und auch nicht-mathematisch. Ich habe mich bisher überall (Harvard, Michigan, Institute of Advanced Study – IAS) sehr wohl gefühlt. Nach England ziehe ich erst im August 2018. Ich bin schon gespannt, was mich dort erwartet.

... unser heutiges Leben nicht ohne möglich wäre.

Sie setzen sich für Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft ein. Wie tun Sie das?

Ich halte stets die Augen nach Möglichkeiten offen, hilfreich zu sein. Ich habe zum Beispiel Undergraduates als Mentorin unterstützt, regelmäßige Treffen von Mathematikerinnen in Harvard und am Institute of Advanced Study organisiert, ich habe beim Poster-Wettbewerb der Association for Women in Mathematics geholfen die Poster der Doktorandinnen zu bewerten und Siegerinnen zu ermitteln. Vor Kurzem fand ein Programm für Mathematikerinnen am IAS statt und ich habe mich bereiterklärt ein Karriere-Panel zu moderieren und auch im kleineren Kreis Fragen der Teilnehmerinnen zu beantworten.

Außerdem achte ich, wenn ich Konferenzen organisiere, stets darauf, dass die Anzahl der zum Vortragen eingeladenen Frauen auch dem Anteil der Frauen unter uns Mathematikern entspricht und diese nicht unterrepräsentiert werden. Wir brainstormen dann gemeinsam zur Frage "Welche herausragenden Mathematikerinnen gibt es auf diesem Gebiet?" und stellen fest: es gibt doch viele exzellente Mathematikerinnen! Es ist traurig, dass diese oft übersehen werden.
Allgemein versuche ich auch einfach, präsent zu sein und jüngeren Mathematikerinnen zu zeigen, dass man auch als Frau Mathematik betreiben kann.

Steht das denn infrage?

Dass Frauen in der Mathematik eher selten und umso seltener sind, je höher die Position, begründen viele Studien auch damit, dass weibliche Vorbilder fehlen. Zum Bespiel habe ich nie eine Dozentin vorlesen gehört. Es gab leider zu wenige. Mich hat das aber glücklicherweise nicht davon abgehalten, die akademische Laufbahn als Mathematikerin einzuschlagen.

Derzeit untersucht ja ein internationales Projekt das Ausmaß der Geschlechterlücke in der Wissenschaft mit Unterstützung vieler wichtiger Organisationen. Was, denken Sie, muss sich ändern, damit sich die Lücke in der Mathematik mindert oder gar schließt? Wer ist dabei besonders gefragt?

Diese Frage ist sehr kompliziert und es gibt wahrscheinlich keine einfache Antwort. Wichtig ist zum Beispiel, dass wir unsere Einstellung ändern und hier ist jeder gefragt. Jeder sollte sich über (unbewusste!) Diskriminierung bewusst sein und aktiv dagegen ansteuern. Es gibt keinen legitimen Grund jemandes Leistungen herabzusetzen, weil diese Person weiblich ist oder zu einer Minderheit gehört. Trotzdem passiert es (oft unbewusst) und führt somit zur (oft ungewollten) Benachteiligung.

Haben oder hatten Sie ein Vorbild?

Ich hatte viele Vorbilder. Diese wechseln je nach Lebensabschnitt und wenn ich neue Leute kennen lerne. In der Regel waren meine Vorbilder Mathematikerinnen und Mathematiker, die einen Karriereschritt weiter waren als ich. Die, die das erreicht hatten, was ich gerne erreichen wollte. Das Geschlecht hat dabei für mich aber nie eine Rolle gespielt.

Vielen Dank für das Gespräch, Jessica Fintzen. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg und noch viele unbeschreiblich schöne Beweisgefühle!

Mathemacher des Monats Juli 2018 sind Jonas Bayer, Simon Dubischar und Malte Haßler, die zum zweiten Mal in Folge beim Bundeswettbewerb „Jugend forscht” ausgezeichnet wurden: In diesem Jahr erhielten sie den bundesweit 3. Preis im Fach “Mathematik/Informatik” und außerdem den Sonderpreis der Deutschen Mathematiker-Vereinigung für eine außergewöhnliche mathematische Arbeit. Herzlichen Glückwunsch für diese sensationelle Leistung! Simon macht nächstes Jahr sein Abitur am Kippenberg-Gymnasium in Bremen. Malte und Jonas studieren bereits im 2. Semester Mathematik an der Jacobs University in Bremen. Stephanie Schiemann vom DMV-Netzwerkbüro Schule-Hochschule sprach mit ihnen.

bundeswettbewerb gruppenfotov.l.n.r.: Jonas, Malte, Simon
Quelle: Stiftung Jugend forscht e.V.

Wie kam es dazu, dass ihr drei als Team bei „Jugend forscht” teilgenommen habt? Woher kanntet ihr den Wettbewerb? Woher kennt ihr euch?

Ursprünglich kennengelernt haben wir uns bei einem Mathewochenende, das von Prof. Dierk Schleicher organisiert wurde. Bei einem internationalen Kongress im Jahre 1900 hat der Mathematiker David Hilbert eine Liste der bedeutendsten ungelösten mathematischen Probleme des 20. Jahrhunderts vorgestellt. An dem Wochenende haben wir uns das 10. dieser Probleme genauer angeschaut und uns in die Thematik eingearbeitet. Außerdem haben wir diskutiert, an welchen Wettbewerben man teilnehmen kann. So kam „Jugend forscht“ ins Gespräch.

Nun, das Wichtigste bei „Jugend forscht“ ist – neben dem Team – das Thema. Eures lautet „Optimierung diophantischer Gleichungen“. Wie seid ihr darauf gekommen?

Es hat sich herausgestellt, dass sich die Thematik rund um das 10. Hilbertsche Problem super für ein „Jugend forscht“-Projekt eignet. Bereits 2017 haben wir mit dem Thema bei „Jugend forscht“ teilgenommen und eine sehr komplexe, sogenannte diophantische Gleichung berechnet. Die damalige Arbeit haben wir dann über Dierk Schleicher an Yuri Matiyasevich – dem Mathematiker, der das 10. Hilbertsche Problem als unlösbar beantwortet hat – geschickt, der uns daraufhin in Bremen besucht hat. Beim Frühstück haben wir diskutiert, welche weiteren Forschungsfelder es in unserem Thema noch gibt und sind dann auf die Idee zu kommen zu untersuchen, wie stark sich unsere sehr komplexe diophantische Gleichung vereinfachen lässt.

Gruppenbildv.l.n.r.: Simon, Yuri Matiyasevich, Frau Matiyasevich, Dierk Schleicher, Malte, Jonas
Quelle: Dierk Schleicher

Polynomfunktionen und den Satz von Pythagoras kennt jeder aus der Schule. Was hat es mit den diophantischen Gleichungen auf sich?

Eigentlich sind diophantische Gleichungen nichts besonderes – beispielsweise 3a² + 4b² – c² = 9 ist eine diophantische Gleichung, da es sich um eine Polynomgleichung handelt, die nur ganzzahlige Koeffizienten hat. Das Wichtige ist allerdings die Betrachtungsweise: Wenn man diophantische Gleichungen untersucht, dann interessiert man sich nur für Lösungen in den natürlichen Zahlen. Man stellt fest, dass diophantische Gleichungen sehr mächtig sind in der Hinsicht, dass sich viele mathematische Probleme als diophantische Gleichung ausdrücken lassen.

Woher wusstet ihr, dass das Thema ertragreich genug ist? Wer oder was hat euch geholfen?

Zu Beginn hatten wir noch keine sehr konkrete Vorstellung davon, wie viel es noch zu erforschen gibt. Allerdings hatten Mathematiker zuvor schon viele Resultate für die natürlichen Zahlen gefunden. Diese haben wir dann auf die ganzen Zahlen übertragen – was erstmal nicht schwierig klingt, später jedoch viel Detailarbeit erforderte. Das erste nennbare Ergebnis berechnete Simon dann in der Straßenbahn auf dem Weg zum Landeswettbewerb.

Natürlich hat es uns sehr geholfen mit Yuri Matiyasevich direkt in Verbindung zu stehen und von ihm den aktuellen Stand der Forschung zu erfahren. Und ohne Dierk Schleicher als Unterstützer, gerade in der Anfangszeit, wären wir ganz sicher nicht soweit gekommen, wie wir es jetzt sind.

Diophant war ein antiker Mathematiker und diophantische Gleichungen haben die Menschen schon lange beschäftigt. Gibt es denn da überhaupt noch etwas Neues zu entdecken? 

Diophant ging es im Wesentlichen darum, die Lösungsmenge einer gegebenen Gleichung zu finden. Eine solche Menge nennt man dann diophantisch. Wir haben die Thematik schließlich aus einer anderen Richtung betrachtet und sind letztlich der Frage nachgegangen: Wie komplex muss eine Gleichung sein, sodass man damit alle diophantischen Mengen beschreiben kann? Wir haben dann berechnet, wie groß der Grad und die Variablenanzahl solcher Gleichungen ist.

Habt ihr eine diophantische Lieblingsgleichung?

Ja, wie schon erwähnt haben wir bei unserer ersten Teilnahme bei „Jugend forscht“ eine neue diophantische Gleichung berechnet – die Collatz-Gleichung. Die beschäftigt sich mit dem folgenden Prozess:

Man fängt mit einer natürlichen Zahl an und wenn sie gerade ist, teilt man durch 2. Ansonsten multipliziert man mit 3 und addiert 1 und wiederholt dann den Prozess. Man hat bis zu sehr hohen Zahlen berechnet, das man dabei stets wieder bei der 1 landet, allerdings konnten Mathematiker noch nicht beweisen, dass dies immer der Fall ist.

Wir haben dann eine Gleichung erstellt, die genau dieses Problem auf eine neue Art darstellen kann. Unsere Gleichung bestand aus über dreitausend Variablen und es waren achtzehn Seiten nötig, um sie zu präsentieren. Deshalb rollten wir die Gleichung bei der Präsentation unseres Projekts auf und ließen dann die Rolle auf die Jury ausrollen, was immer ein überraschender Effekt war.

... ein jeder Interessierter in jedem Fachgebiet unabhängig von Alter oder Erfahrung immer neue Erkenntnisse sammeln kann.

 Was war für euch die größte Herausforderung bei der Arbeit und der Teilnahme bei „Jugend forscht“?

Jonas: Im ersten Jahr war natürlich die Koordination nicht ganz einfach, weil ich noch in Baden-Württemberg zur Schule ging und Malte und Simon in Bremen waren. Allerdings konnten wir die Arbeit dann doch ganz gut untereinander aufteilen.

Dieses Jahr war vor allem die Komplexität der Literatur, die wir verwendeten, noch weiter gestiegen. Da hat es noch einmal deutlich länger gedauert, bis wir uns alle in die bisherige Arbeit anderer Mathematiker eingearbeitet hatten. Teilweise war das auch sehr trocken. Da war es vor allem wichtig durchzuhalten und nicht das Ziel vor den Augen zu verlieren.

Kann jeder/jede bei „Jugend forscht“ teilnehmen? Was könnt ihr anderen Interessierten zu dem Wettbewerb empfehlen?

Teilnahmeberechtigt sind Schülerinnen, Schüler und Studierende bis zum ersten Studienjahr unter 21 Jahren. Gerade in der Mathematik muss man nicht immer drei Jahre vorher mit dem Projekt anfangen, damit was Gutes herauskommt. Wichtiger ist es Gruppenmitglieder zu haben, deren Fähigkeiten sich gut ergänzen. Und wenn man auf die Teilnehmenden des Bundeswettbewerbs schaut, dann kann man sicherlich sagen, dass alle für ihr Fach brennen sollten.

Zuletzt wüsste ich gern, was eure mathematischen Wurzeln sind? Wer oder was hat das Feuer entfacht?

Simon: Ich habe schon früh entdeckt, dass ich Spaß an Knobelaufgaben, Strategiespielen und dann auch Mathematikwettbewerben hatte. Mein erster Wettbewerb war der Känguruwettbewerb.

Vielen Dank!

In diesem Jahr gab es beim Bundeswettbewerb „Jugend forscht“ noch ein inhaltlich verwandtes Projekt, das mit dem Bundessieger-Sonderpreis des Bundespräsidenten prämiert wurde. Dieses entstand aus einer Idee von Yuri Matiyasevich. Er schlug vor, seinen Beweis zum 10. Hilbertschen Problem mithilfe eines Computers zu verifizieren, wobei es sich um ein hochaktuelles mathematisches Thema handelt. Dabei konnte bereits das Kernstück des Beweises durch ein anderes „Jugend forscht“ Team verifiziert werden. Gemeinsam arbeiten beide Teams nun daran, das Projekt zu vervollständigen und werden es auch im Juli in einer Konferenz in Oxford vorstellen.